Transgenerationale Traumatisierung

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Solage
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Transgenerationale Traumatisierung

Beitrag Sa., 21.09.2019, 20:08

https://www.aerzteblatt.de/archiv/12838 ... rchbrechen

https://www.deutschlandfunk.de/traumave ... _id=343713

Ich habe kriegstraumatisierte Eltern und es ist auch in meiner Therapie Thema, wie sich die transgenerationale Weitergabe von Traumatisierungen auf mich und meine Nachkommen auswirkt.

Es gibt in meinem Leben konkrete Übergriffe. Die schlimm sind,ohne Zweifel.
Ich frage mich, ob diese Erlebnisse weniger nachhaltig wären, wenn meine Eltern nicht selbst traumatisiert wären.

Ich neige dann dazu, meine Eltern zu entschuldigen, weil sie so Schlimmes erlebt haben. Wie können sie mir durch ihre schlimmen Erfahrungen stabil und empathisch begegnen?
Dem widerspricht, dass ich und mein Geschwister so ganz anders geworden sind. Fürsorglich, ernsthaft mitfühlend und unsere Nachkommen sehend und ernst nehmend begleiten.
Vielleicht, weil, wie unsere Kinder sagen,: "Ihr seid so normal, im Gegensatz zu denen..."
Vielleicht war das eben unsere Lebenshilfe!?

Vielleicht gibt es Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Nicht nur in meinem Jahrgang, weil die Zeit vielleicht damals so war.

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diesoderdas
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Beitrag Mo., 23.09.2019, 10:36

Solage hat geschrieben: Sa., 21.09.2019, 20:08 Vielleicht war das eben unsere Lebenshilfe!?
Ich glaube schon, dass man auch durch negative Kindheitserfahrungen sich (auch) positives aneigenen kann.
Dass man dann z.B. feinfühliger wird, mehr mitbekommt, gerade die Sachen besser macht, bei denen die eigenen Eltern bei einem selbst versagt haben.
Andererseits, es gibt ja auch Menschen, die eigentlich recht normal aufgewachsen sind ohne (größere) Traumatisierungen oder so und die können diese positiven Eigenschaften genauso haben.
Und wiederum andererseits manchen manche dann ja genau die gleichen Fehler wie die Eltern.

Ich habe auch schwer traumatisierte Eltern, stelle mir solche Fragen auch öfters.

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spirit-cologne
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Beitrag Mo., 23.09.2019, 11:29

Ich denke mal, dass man nicht alle Eltern, die noch den Krieg erlebt haben, vergleichen kann. Erstens kommt es ja darauf an, wie und in welchem Alter sie den Krieg erlebt haben. Meine Eltern waren 9 bzw. 10 Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. Meine Mutter hat auf einem Dorf gelebt und direkt nicht so viel vom Krieg mitbekommen. Zwar ist ihr Vater im Krieg gefallen, aber auch in Friedenszeiten passiert es manchmal, dass ein Elternteil verstirbt. Mein Vater war aus gesundheitlichen Gründen in der Kinderlandverschickung und hat auch nicht so viel vom Krieg mitbekommen, er war eher durch die Entbehrungen der Nachkriegszeit geprägt. Menschen, die den Krieg als Erwachsene erlebt haben, leben ja nur noch wenige.

Aber selbst bei den Menschen, die Kriegstraumata erlebt haben, wird ja noch lange nicht jeder auch traumatisiert. Da finde ich Vergleiche schwierig.

Ob es da zum 2. Weltkrieg Studien gibt, weiß ich nicht, aber es gibt eine sehr bekannte Studie aus den USA, in der während der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren untersucht wurde, welche Auswirkungen das Alter der Kinder/Jugendlichen darauf hatte, wie diese Krise psychisch verarbeitet wurde. Dabei hat man herausgefunden, dass vor allem die jüngeren Kinder negative Folgen entwickelt haben, weil sie sich in der Situation hilflos ausgeliefert gefühlt haben. Jugendliche haben sich dagegen häufig psychisch stabil entwickelt, was man darauf zurückführt, dass sie schon mithelfen konnten Geld zu verdienen und die Familie zu ernähren und dies bei ihnen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Stolz erzeugt hat.

Das sind aber nur allgemeine Tendenzen. Viel wichtiger ist ja, dass jeder Mensch individuell mit Belastungen umgeht und sie daher auch in unterschiedlichem Maße an seine Kinder weiter gibt.
It is better to have tried in vain, than never tried at all...


montagne
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Beitrag Di., 24.09.2019, 17:42

Meine Großmutter hat beide Weltkriege, Flucht und die Nachkriegszeit in Berlin erlebt. Meine Mutter war Jahrgang 45. Transgenerationale Weitergabe von Traumata ist ein großes Thema bei mir.

Ich denke aber, es war nunmal eine andere Zeit, eine andere Umwelt. Selbst in den 80ern in der DDR, gab es im Grunde keine wirkliche psychotherapeutische Versorgung, keine modernen ADs. Sie nahm Tabletten, trank, nahm stark zu, dadurch ging es ihr psychisch wieder schlecht. Es gab nicht annähernd die Hilfe, die es heute gibt und auch nicht das Bewusstsein und die Akzeptanz in der Gesellschaft.


So denke ich, haben wir viel mehr Möglichkeiten uns zu entwickeln, als noch vor 30 Jahren. Dann denke ich aber auch, baut manch einer vielleicht auch eine Resilienz auf, unter bestimmten Konstellation.

Ich bin nicht gut drin zu vergeben, was mir angetan wurde und ich werfe meiner Mutter und Großmutter einiges vor. Aber ich bin verdammt dankbar, diese Resilienz von ihnen zu haben, diese Grundlage, von der aus ich an mir arbeiten konnte. Ich sehe das als Geschenk. Denn auch bei den vielen Hilfsmöglichkeiten heute, gibt es genug Leute, denen die Basis fehlt, es zu nutzen und die daher sehr zu leiden haben.
amor fati

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Solage
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Beitrag Do., 26.09.2019, 20:00

In Bezug auf die Resilienz,

da habe habe ich nachgeforscht, gelesen, dass wenn in meinem Leben schlimme Traumata waren.... dass andere Menschen, die ähnlich schlimme Erfahrungen machen mussten, die aber alles gut wegstecken konnten. Oder besser noch, in der Zukunft nicht beeinträchtigt waren.

Aber, es soll auch tatsächliche Genveränderungen geben: Z. B. Mutter schwer (kriegs)traumatisiert), dadurch Genveränderung, die wiederum an die Nachkommen weitergegeben wird.

Heißt für mich, dass ich aufgrund der Vererbung, oder auch nur auf dem Verhalten meiner Eltern, nicht wirklich frei bin, sondern an deren Trauma gebunden.

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Solage
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Beitrag Do., 26.09.2019, 20:08

Und weiter geht es für mich, sich aus dieser unguten, geknebelten, "Familienverbindung" zu befreien!

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Solage
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Beitrag Do., 26.09.2019, 20:18

montagne hat geschrieben: Di., 24.09.2019, 17:42 Meine Großmutter hat beide Weltkriege, Flucht und die Nachkriegszeit in Berlin erlebt. Meine Mutter war Jahrgang 45. Transgenerationale Weitergabe von Traumata ist ein großes Thema bei mir.

Ich denke aber, es war nunmal eine andere Zeit, eine andere Umwelt. Selbst in den 80ern in der DDR, gab es im Grunde keine wirkliche psychotherapeutische Versorgung, keine modernen ADs. Sie nahm Tabletten, trank, nahm stark zu, dadurch ging es ihr psychisch wieder schlecht. Es gab nicht annähernd die Hilfe, die es heute gibt und auch nicht das Bewusstsein und die Akzeptanz in der Gesellschaf
Motagne, eine andere Zeit, eine andere Umwelt, ist doch keine Ausrede für einen schlechten Umgang im zwischenmenschlichem Kontakt.


montagne
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Beitrag Do., 26.09.2019, 20:35

Keine Ausrede.
Aber man kann doch Traumata nicht isoliert betrachten. Wie ein Traumata wirkt, wird doch gerade erst durch die Umwelt bestimmt.
amor fati

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Solage
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Beitrag Do., 26.09.2019, 20:55

Hallo montagne,

ich bekomme immer wieder so Antworten, wie: "Es war halt eine andere Zeit". Und gut ist!" Ist es wirklich gut?
War halt damals so usw.
Ich wehre mich dagegen, weil nicht die Umwelt und das Damals hat meine Eltern dazu gebracht, sondern die waren so!
Die hätten nicht so schädlich für mich sein müssen!
Habe ich allerdings nur in der aktuellen Therapie so erkennen können.

Dass es damals keine psychotherapeutische Versorgung gab, hat doch nichts damit zu tun, dass Deine Mutter sich Dir gegenüber so verhalten hat!
Da geht mir die Hutschnur hoch. Sind so Ausreden auch bei Straftätern: Ich hatte so eine schreckliche Kindheit und deshalb bin ich straffällig geworden.
Es gibt doch bei aller schlimmen Erfahrung immer noch eine eigene Entscheidung, nicht genauso schlimm zu handeln.

Wenn Deine Mutter sich selbst schädigte, dann ist das ihre Sache. Hat sie aber ein Kind, das sie durch ihr Verhalten auch schädigte, evtl. vernachlässigte, dann wird es doch zu Deiner Sache, oder?


montagne
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Beitrag Do., 26.09.2019, 21:11

Wer sagt denn, dass es "gut" ist.
Und ja, ich denke die Umwelt spielt eine Rolle.
"Die waren so." ist mir persönlich zu eindimensional und bringt mich nicht weiter ein erfülltes Leben zu leben.
So empfinde ich es halt.

Und darum geht es mir persönlich, mein Leben nach meiner Facon zu gestalten und ein erfülltes Leben leben.

Andere Menschen haben andere Ziele, ist okay.
amor fati

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Candykills
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Beitrag Do., 26.09.2019, 23:37

Aber Menschen sind unterschiedlich und die Eltern und Großeltern sind ja mit Sicherheit nicht extra so gewesen, wenn sie traumatisiert sind.
Das wäre ja dann wie, wenn ich man sagen würde: Solage, dass was mit dem Thera passiert ist, ist deine Schuld, du hättest dich ja auch anders verhalten können".

Nicht jeder Mensch ist gleich reif und gerade ihre schweren Traumata können auch das reifen verhindert haben. Sei doch erstmal vielleicht dankbar, dass du überhaupt die Möglicheit hast so reif zu sein und dich mit diesen Traumata auseinandersetzen zu können. Das war den Eltern vielleicht charakterlich und reifetechnisch nicht möglich.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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Philosophia
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Beitrag Sa., 28.09.2019, 12:45

Danke, Candy, ich seh das auch so. Das liegt auch daran, dass ich erleben musste, dass meine Eltern wirklich nicht über bestimmte Punkte hinauskommen, auch wenn ich es offen benannt hatte. Sie verharren in ihren Mustern, als brauchten sie diese. Bloß keine Veränderung! Meine Mutter weiß zum Beispiel, dass sie übergriffig ist, aber sie sagte dazu, dass sie trotzdem nicht anders könne. Meine Eltern sind beides DDR-Kinder von Eltern, die im Krieg auf der Flucht waren. Meine Urgroßmutter selbst hat mir noch lebhaft davon erzählen können. Ich glaube wirklich mittlerweile, dass manche oder von mir aus auch viele nicht über den Punkt hinauskommen,wirklich schädliche Dinge zu verändern, eben weil sie einst mal sinnvoll waren. Ich für mich merke selbst, dass ich kein Mensch mehr bin, wenn mich die Panik erfasst und dass ich dann nicht immer gut handle. Meine Großeltern haben - wohl auch aufgrund ihrer Fluchterfahrungen - jeweils recht extreme Ansichten über Erziehung ausgelebt. Und das Extreme ist nie gut - kann sich aber als Widerstand zur nicht gewollten Realität entwickeln. Auch ich habe das für mich erlebt, indem ich sehr lange bestimmte Dinge konsequent abgelehnt habe und das gegenteilige Verhalten leben wollte. Es ist wie so vieles nicht so einfach, nicht zu vereinfachen und nicht nur auf gut und böse zu reduzieren.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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Solage
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Beitrag Sa., 28.09.2019, 21:28

Candykills hat geschrieben: Do., 26.09.2019, 23:37 Aber Menschen sind unterschiedlich und die Eltern und Großeltern sind ja mit Sicherheit nicht extra so gewesen, wenn sie traumatisiert sind.
Das wäre ja dann wie, wenn ich man sagen würde: Solage, dass was mit dem Thera passiert ist, ist deine Schuld, du hättest dich ja auch anders verhalten können".

Nicht jeder Mensch ist gleich reif und gerade ihre schweren Traumata können auch das reifen verhindert haben. Sei doch erstmal vielleicht dankbar, dass du überhaupt die Möglicheit hast so reif zu sein und dich mit diesen Traumata auseinandersetzen zu können. Das war den Eltern vielleicht charakterlich und reifetechnisch nicht möglich.
Candykills,

denke doch mal so, dass Dir jemand übel mitspielt, seien es die Eltern oder andere Personen und dann sagen die: Weißt Candy, ich konnte nicht anders, weil ich so Schlimmes erlebt habe. Bin halt traumatisiert.
Und dann ist das dann ganz klar nicht in deren Verantwortung?

Ich sage NEIN, und genau das bearbeite ich auch in der Therapie: Niemand muss anderen Menschen schlecht und verachtend begegnen, nur weil ihm schlecht und verachtend begegnet wurde! Das sind faule Ausreden!

Und völlig verdreht ist Deine Aussage in Bezug auf meinen ehemaligen Therapeuten: Weil, ich war nicht übergriffig, sondern er!

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Solage
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Beitrag Sa., 28.09.2019, 21:36

Und warum solle ich froh sein, meinen Eltern evtl. in der Reife überlegen zu sein?
Als kleines Kind?
Das nennt man Parentifzierung.

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Philosophia
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Beitrag Sa., 28.09.2019, 21:38

Nee, aber du bist jetzt kein kleines Kind mehr. Und wenn du jetzt weiter als deine Eltern kommst für dich im Leben, dann ist das doch toll.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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