Warum sinkt die Grenze der Belastbarkeit?

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Hiob
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Warum sinkt die Grenze der Belastbarkeit?

Beitrag Di., 28.01.2020, 17:44

Wenn die Belastungsgrenze einmal überschritten ist, wird sie in Zukunft nicht nur ein bisschen, sondern weit niedriger sein. Wenn die Schwelle zur Panikattacke überschritten ist, wird sie das nächste mal nicht etwas, sondern weit niedriger sein.

Warum ist das so, wie ist das psychologisch oder physiologisch zu erklären.

Hiob

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_Leo_
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Beitrag Di., 28.01.2020, 19:03

Wie kommst du auf diese Thesen? Ich kann das nicht bestätigen. Meine Belastungsgrenze ist heute nach überstandener Krankheit wieder genauso hoch wie damals.

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Philosophia
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Beitrag Di., 28.01.2020, 19:29

ich weiß nicht, ich empfinde es eher so wie Hiob schreibt...
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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Candykills
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Beitrag Di., 28.01.2020, 19:34

Ich komme auch nicht mehr an die Leistungsgrenzen vor Erkrankung heran. Ich kann mich gar nicht mehr wirklich erinnern, wie es war, Höchstleistung zu erbringen. Dafür ist das schon zu lange her. Von den Psychosen habe ich definitiv und eindeutig Defizite davongetragen. Manches hat sich im Laufe der Zeit auch wieder gebessert. Aber dahin, wo ich war, als ich noch gesund war, komme ich nicht mehr hin. Ich glaube auch nicht, dass das überhaupt nochmal was wird.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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Kaonashi
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Beitrag Di., 28.01.2020, 19:57

Vielleicht werden bei Belastung oder bei einer Panikattacke Nervenbahnen gebildet, die die gleiche Reaktion später dann erleichtern, ähnlich wie ein Pfad, den man schneller begehen kann, je häufiger dort schon jemand gelaufen ist?

Bei Belastungen könnte es auch daran liegen, dass man sich von der vorherigen Belastung doch nicht ganz erholt hat, und deshalb weniger leistungsfähig ist.

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Joa
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Beitrag Di., 28.01.2020, 21:28

Empfinde es auch so. Da ist bei mir was gefühlt unwiederbringlich kaputt gegangen, durch zu häufige/heftige Belastung. Und jetzt ist die Schwelle sehr niedrig. Glaube nicht, dass sich das noch weiter bessert. :neutral:

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Beitrag Di., 28.01.2020, 22:55

Kaonashi hat geschrieben: Di., 28.01.2020, 19:57 Vielleicht werden bei Belastung oder bei einer Panikattacke Nervenbahnen gebildet, die die gleiche Reaktion später dann erleichtern, ähnlich wie ein Pfad, den man schneller begehen kann, je häufiger dort schon jemand gelaufen ist?

Bei Belastungen könnte es auch daran liegen, dass man sich von der vorherigen Belastung doch nicht ganz erholt hat, und deshalb weniger leistungsfähig ist.
Ja, denke ich auch.

Wenn man sich mal überlegt, dass zum Beispiel durch ein Trauma ganze Gehirnareale nachweislich für immer verändert sind.

Und bei Panikattacken hat man ja z. B. oft Todesangst, denke, dass das auch was im Gehirn ändert... und z. B. das ganze Stress-System mit Adrenalin usw. leichter ausgelöst wird...

Denke man kann es auch wieder umändern... qber dazu müsste man es sehr frühzeitig unkonsequent u richtig behandeln....
Sonst wirds halt chronisch bzw. schwerer wieder umzulernen.
"You cannot find peace by avoiding life."
Virginia Woolf

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Fundevogel
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Beitrag Di., 28.01.2020, 22:58

Also ich glaube bei mir liegt das daran, dass ich heute fühle, was ich früher ignoriert habe.
Nur deshalb war das Überschreiten sämtlicher Belastungsgrenzen möglich.
Heute spüre ich früher, dass ich müde bin, gestreßt, ängstlich oder schlaflos.
Früher habe ich es gar nicht gespürt.

Bei mir ist der komplette Zusammenbruch nun schon ein paar Jahre her und ich bin froh und dankbar, was alles wieder geht. Das Belastungsniveau ist wohl niedriger als früher (obwohl wenn ich ich recht überlege ...) zumindest arbeite ich weniger und ich glaube, ich könnte - und wollte! - auch nicht mehr so wie früher. Manchmal macht mich das schon auch traurig, meistens aber empfinde ich mein Leben heute als viel besser. Kein Wunder, alles ist besser als sich trotz Krankheit zu Tode arbeiten und in der Depression einmauern, nur damit man ja nichts fühlen muss.

MIt den Panikattacken ist das eine andere Sache - die waren schon jahrelang weg und nun taucht alle paar Monate aus dem Nichts wieder eine auf. Warum das so ist, weiß ich nicht, noch nicht hoffe ich. Ich habe aber den Eindruck, dass die Schwelle viel niedriger ist und die Angst sehr schnell sehr stark ist. Vielleicht deshalb, weil sich mit diesem kleinen Auslöser alle Angsterinnerungen verbinden und im Lauf der Jahre immer tiefere und noch tiefere Schichten abgetragen werden und je tiefer, umso schwieriger und heftiger die Auswirkungen bei vergleichsweise geringen Auslösern.

Angst hat auch eine starke physische Komponente glaube ich, bei mir auf jeden Fall, Angst ist eines meiner Hauptthemen und manchmal glaube ich, die Angst sitzt in jeder Zelle meines Körpers. Ich habe aber auch den Eindruck, dass ich eine schlimme Panikattacke viel schneller verarbeitet habe als früher, meist bin ich schon am nächsten Tag wieder relativ fit, früher gabs wochenlange Nachbeben.

Also ja, meine Grenzen sind auch niedriger als früher, aber so wie früher will ich nicht mehr sein.
Fundevogel

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Farideh
Helferlein
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Beitrag Mi., 29.01.2020, 08:32

Hallo Alle,

bis auf Angst und Panikattacken ist hier nicht konkret beschrieben worden, um welche Leistungen und Grenzen es konkret geht, oder? Vielleicht ist es auch nicht so wichtig.

Für mich spielen zwei Aspekte, die hier genannt wurden, eine Rolle.

Ich vermute auch, daß sich im Laufe des Lebens neue neuronale Bahnen bilden, die es schwierig machen bestimmte Dinge anders zu machen. Auch Gewohnheiten lassen sich nicht leicht ändern.

Zum anderen finde ich die Gedanken von Fundevogel sehr wichtig.

Fundevogel schreibt:
„Also ich glaube bei mir liegt das daran, dass ich heute fühle, was ich früher ignoriert habe. Nur deshalb war das Überschreiten sämtlicher Belastungsgrenzen möglich. Heute spüre ich früher, dass ich müde bin, gestreßt, ängstlich oder schlaflos. Früher habe ich es gar nicht gespürt.“
Je mehr ich mich mit meinen Gefühlen befaßt habe, umso sensibler bin ich für bestimmte Dinge geworden. Das habe ich manchmal angenehm und manchmal unangenehm empfunden. Zum Beispiel hat es dazu geführt, daß ich Musik zum Teil viel mehr genießen kann.

Es hat mir auch besser angezeigt, wo meine Grenzen sind. Die bemerke ich inzwischen im Alltag deutlicher und versuche mich danach zu richten.

Das Ergebnis ist, daß ich scheinbar viel weniger mache. Und mehr in die Tiefe gehe. So empfinde ich es.

In einigen Bereichen kann ich jetzt gut nach dem Motto „Weniger wäre mehr gewesen“ bzw. jetzt „Weniger ist mehr und tut mir gut“ leben. Ich senke selbst die Grenze.

Danke für das Thema, Hiob!

Schönen Tag
Farideh

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stern
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Beitrag Mi., 29.01.2020, 08:49

Hiob hat geschrieben: Di., 28.01.2020, 17:44 Wenn die Belastungsgrenze einmal überschritten ist, wird sie in Zukunft nicht nur ein bisschen, sondern weit niedriger sein.
Die Fragestellung empfinde ich als suggestive. Grund: Stichwort z.B. Trainingseffekte. Hier wird genau damit gearbeitet. dass sich die Belastungsgrenze dadurch nach oben verschiebt.
Wenn die Schwelle zur Panikattacke überschritten ist, wird sie das nächste mal nicht etwas, sondern weit niedriger sein.
Hier wäre ein Gegenbeispiel Expositionsverfahren.

Kann man also mMn nicht pauschal so behaupten, sondern sowohl mental als auch körperlich ist in gewissen Umfang eine Anpassung an sich ändernde Belastungen möglich, auch im Sinne einer Erhöhung von Belastungsgrenzen.


(noch nicht alle Beiträge gelesen).
Zuletzt geändert von stern am Mi., 29.01.2020, 09:01, insgesamt 2-mal geändert.
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Blume1973
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Beitrag Mi., 29.01.2020, 08:52

Ich seh es auch so wie Fundevogel.
Ich höre jetzt viel mehr auf meinem Körper und mein Gehirn lässt sämtliche Alarmglocken läuten, wenn ich übertreibe. Die Erinnerung ist nun mal da und das Gewesene sitzt tief.

Meine Therapeutin sagte bei meiner letzten Sitzung damals: „Frau Blume, sie kennen jetzt ihre Grenzen und sie wissen, was passiert, wenn sie sie überschreiten. Mit diesem Werkzeug kann ihnen nichts mehr passieren.“

Ja und so ist es.
Die einzigen wirklichen Feinde des Menschen, sind seine negativen Gedanken.

Albert Einstein

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stern
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Beitrag Mi., 29.01.2020, 10:30

Nachtrag: Habe nochmals nachgedacht. Bei mir hat sich die Schwelle für Panikattacken erhöht... andernfalls würde ich meine Therapie in Frage stellen. Wenn (als unerwünschter Effekt) feststellbar wäre, dass sich z.B. im Zuge einer Expostionstherapie Ängste verstärken statt tendenziell abzunehmen, dann wäre evtl. die Vorgehensweise zu ändern.

Selbst unbehandelt kann sich manches legen, damals Attacken als klassische Traumareaktionen, die mir seinerzeit gar nicht klar waren. Heilung wäre ja unmöglich, wenn automatisch eine rapide Abwärtsschleife in Gang gesetzt werden würde.

Wenn man über seine Grenzen geht, missachtet man die tatsächliche Schwelle. Ungewollt. Oder gewollt (und gesteuert) zB im Zuge eines leistungssteigernden Trainings oder bei der Expostionstherapie. Mögliches Stichwort wäre hier zum Bleistift Habituation als einfache Form des Lernens, dass es nicht nötig ist, auf jeden Reiz (massiv oder überhaupt) zu reagieren. Bei beidem dürften die Mechanismen recht gut untersucht sein. Das ist genau genommen sogar die "normalere" Entwicklung als die Entwicklung einer Störung.
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cinikus
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Beitrag Mi., 29.01.2020, 21:33

Mit Panikattacken habe ich eher nicht zu kämpfen. Aber ich habe die Erfahrung, dass meine Stresstoleranz seit dem Burnout vor über zehn Jahren enorm zuammengeschrumpft ist. Ich bin nicht mehr so belastbar wie früher. Wobei natürlich die berechtigte Frage steht, ob ich denn früher wirklich belastbarer war. Weil wenn, wäre ich wohl nie in ein Burnout gerutscht. Wie Fundevogel sehe ich es auch eher so, dass ich einfach meilenweit über meine Grenzen gelatscht bin, so lange, bis irgendwann was gerissen ist. Ich wusste ja nicht, was passiert, wenn man sich selbst übersieht. Jetzt weiß ich es und habe einen Heidenrespekt davor. Daher mag ich auch gar nicht mehr an diese Grenze gehen, weil ich weiß, was für ein Glück ich hatte, überlebt zu haben. Es gibt keine Garantie, es noch mal zu überleben und auf Reha habe ich gesehen, was mit Menschen passiert, die ihre Grenzen wiederholt überschreiten. Mit 30 Jahren in einem psychischen, physischen und kognitiven Zustand wie ein heute 80-jähriger zu sein ist beileibe kein Spaß.
Insofern glaube ich weniger, dass die Belastbarkeitsgrenze gesunken ist, sondern die Toleranz. Aus Schaden wird man manchmal ja doch klug und zieht vorher die Reißleine. Wer es nicht bewusst tut, den schützt das Unterbewusstsein, indem der Körper und die Seele schon früher aufbegehren.

Und, na ja, das Alter darf man halt auch nicht vergessen. Auch ohne Burnout wäre ich rein altersbedingt weniger belastbar als vor zehn Jahren.
Auch der Anblick des Schlechten kann eine Schulung für das Gute sein! Niccolò Tommaseo

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Fairness
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Beitrag Do., 30.01.2020, 16:32

Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass sich die Schwelle erhöht hat. Ich glaube, dass es damit zu tun hat, dass ich die Situationen in meinem Leben, die Zusammenhänge, Voraussetzungen oder ihre Konsequenzen auf mich etwas anders auswerte, als früher..
Man sieht, was man am besten aus sich sehen kann. (C.G.Jung)

Grief is just love with no place to go. (Jamie Anderson)

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Beitrag Fr., 31.01.2020, 14:58

Hiob hat geschrieben: Di., 28.01.2020, 17:44 Warum ist das so, wie ist das psychologisch oder physiologisch zu erklären.

Darüber habe ich letztens was in einer Doku gehört.

https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/ ... her-12548/

https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/ ... lle-13714/

Das würde ja bedeuten, dass es eben auch dahingehend körperliche Ursachen gibt. Wenn das Immunsystem immer mit einer Entzündung kämpft, dann schwächt das natürlich den ganzen Körper und die Psyche.

Man merkt das ja zum Beispiel bei einer Erkältung. Instinktiv möchte man dann ja Ruhe und Schlaf, weil man sich schlapp und müde fühlt. Das ist ja von der Natur auch gut eingerichtet. Denn wäre die natürliche Bremse da nicht, würde man sich ja immer mehr verausgaben und die Heilung wäre nur schwer oder kaum möglich.

Wenn solche körperlichen Faktoren auch eine Rolle spielen, wird im Körper das ja ständig ausgelöst, also dieser Wunsch nach Ruhe. Rückzug und Schlaf.
Das Problem ist nur, dass dieses System ja darauf ausgerichtet is, dass die Krankheit irgendwann geheilt ist.

Wenn dem Körper aber ne chronische Entzündung vorgegaukelt wird, läuft das ja in Endlosschleife und verschlimmert sich sogar, wenn man nichts dagegen tut und z. B. nur Antidepressiva schluckt, die darauf ja gar keinen Einfluss nehmen.
Error im System.
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Virginia Woolf

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