Zeit allein verbringen = Hölle: abhängig von Co-Stabilisation

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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BelugaWal
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Zeit allein verbringen = Hölle: abhängig von Co-Stabilisation

Beitrag Di., 27.12.2022, 17:47

Ich werde extrem gestresst und unruhig, wenn ich Zeit alleine verbringe, d.h., wenn ich mal einen Tag keine Freundschaft oder nähere Bekanntschaft treffe. Einen Tag alleine zu verbringen ist eine Höllenqual für mich und erzeugt stundenlange Stresszustände. Diese Anspannungslevel sind so hoch, dass ich Alltagsdinge, die ich eigentlich gerne mal erledigen würde, nicht machen kann. Das reicht von Hobbies, denen ich gerne nachgehen würde, bis hin zu administrativen Verpflichtungen (z. B. Formulare von der Krankenversicherung). Vor paar Monaten waren die Anspannungslevel so hoch, dass ich das Weinen angefangen habe bis hin zu Suizidgedanken.

In anderen Worten: alleine bin ich sehr instabil, Menschen zu treffen co-stabilisiert mich und ich bin co-abhängig davon.

Frage: Wie werde ich das los? Und wie viel Anteil davon ist pathologisch und wie viel eine "normale" aber ungewöhnliche Variation von Extrovertiertheit?


Ich blühe regelrecht auf, wenn ich einen "institutionalisierten Sozialort" habe (meine Wortprägung).

Zum Beispiel habe hatte ich diesen Sommer eine Woche Urlaub in einer Öko-Alternativ-Kommune gemacht. Das waren super tolle 7 Tage!! Ich habe mit 5 Menschen in einem Raum in einer großen verlassenen Villa geschlafen. Wenn man wollte, konnte man überall und zu fast jeder Zeit zwanglos Menschen & Aktivitäten antreffen und ins Gespräch kommen: ob in der Küche, vor der Villa oder im Dorf.
Ich fühlte mich befreit von meiner Co-Stabilisations-Abhängigkeit und konnte tatsächlich meinen Interessen nachgehen. Das Vertrauen, dass ich immer jemanden antreffen könnte, hat mir erlaubt, tatsächlich auch mal entspannte Zeit alleine zu verbringen (z. B. Mittagsschlaf oder meditieren).

Ansonsten blühe ich auch in einer hier ansässigen Sporthalle auf, in der ich immer Bekannt- oder Freundschaften antreffe, oder im Zweifel mit Unbekannten ins Gespräch komme =) (Das ist eine spezielle Sporthalle, kein Fitnessstudio -- es ist per se ein sozialer Ort der Begegnung.)

Psychotherapeutischer Hintergrund: Seit 2 Jahren in Therapie. Eine mittelschwere Depression wurde mal diagnostiziert, ich denke aber, dass ich mittlerweile die gut überwunden habe. Eine Borderline-Persönlichkeitsstruktur wurde kürzlich diagnostiziert, aber da bin ich skeptisch: ja ich habe einige Borderline-Symptomatiken, aber die sind fast ausschließlich mit Alleinsein assoziiert. Zwischenmenschlichen Beziehungen kann ich sehr stabil führen und pflegen. In meiner und bisher einzigen Paarbeziehung von 10 Monaten habe ich einen ängstlichen Bindungsstil aufgewiesen und eine starke Angst vor Zurückweisung und Verlassenwerden -- wobei mir hier nicht klar ist, wie viel davon mein inhärenter Anteil ist und wie viel meine Ex-Partnerin dazu beigetragen hat. Sie hat einen vermeidenden Bindungsstil und auch eine diagnostizierte Borderline-Persönlichkeitsstruktur und hat mich emotional stark missbraucht (ständige Trennungsandeutungen, Trennungen, On-Off selbst bei kleinsten Alltagsdingen).

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Hiob
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Beitrag Mi., 28.12.2022, 12:12

Hai BelogaWal.

eine Besonderheit des Menschen ist die Fähigkeit, innerhalb des Fischschwarmes zu schwimmen und sich gleichzeitig als abgetrennt zu erleben. Er schwimmt dabei innerhalb eines kleineren Auariums, dessen Glasscheiben er mehr der weniger gut erkennen kann. Eine Seite ist offen. Er ist also gleichzeitig getrennt und im Meer; alleine und im Schwarm. Dass er sich selbst und sein kleines Aquarium jedoch überhaupt erkennt, hat Vorteile und Nachteile. Ein großer Nachteil ist das damit verbundene Gefühl, allein zu sein, hilflos, schutzlos, unsicher. Positiver ist dabei die nach und nach entstehende Erkenntnis, dass man, wenn man abgetrennt ist, auch eigene Entscheidungen treffen kann und eigene Interessen vertreten kann...das ergibt dann unsere Vorstellung von Freiheit. Die Freiheit ist jedoch nicht für jeden gleich angenehm, jeder erlebt die Anfänge seiner Freiheit anders. Wer bei seinen ersten Schritten unangenehmeres erlebt hat, verbindet seine Freiheit, Individualität und Entscheidungsmöglichkeit nicht mit besonders angenehmen Gefühlen und Erwartungen, es ist für ihn nicht so erstrebenswert, versetzt ihn eher in einen Stresszustand. Die verschiedenen Methoden, sich nun mit anderen Menschen in Beziehung zu setzen, sind in dem Falle z.B. Methoden, diesen unangenehmen Wackelzustand zu lindern. Dafür gibts dann tausend Namen, du hast sie für dich präzise beschrieben. Leider kann das dann zahlreiche Geschichten schreiben, in denen andere dein Bedürfnis nach Gemeinschaft ausnutzen. Möglicherweise bist du da von allzu schmerzhaften Erfahrungen verschont geblieben, viele Menschen erleben das, was du an dir schon länger bemerkst, dann erst durch schwerste Enttäuschung oder sonstigen Zerfall ihres Lebens. Dass du dich hier also schon ein bisschen kennst, halte ich für eine gute Ausgangsbasis.

Verstehen, woher bei uns Menschen die Einsamkeit und all die damit verbundenen unangenehmen Gefühle kommen, wäre allgemein eine Denkaufgabe. Ob du die genaueren Umstände deiner eigenen Geschichte ermitteln kannst, ist sicher schon ungewisser und schwieriger, kann Aufgabe einer Therapie und eigener Untersuchungen sein. Ich schätze das wird aber eher ein lebenslanger Erkenntnisprozess sein, wie jeder, der entsprechenden Leidensdruck und Neugier hat, seine eigenen Maulwurfshügel umgräbt und durchsiebt. Ebenso wichtig wird es aber sein, sich immer wieder an kleine Übungen zu machen, die Einsamkeit zu ertragen, die Nervosität auszuhalten und dennoch gleichzeitig mal eine Aufgabe, die du dir gesucht hast, fertig zu bekommen. Ich gehe davon aus, dass das auch Teil deiner Therapie ist und du diese Übungen mehr oder weniger unfreiwillig mitmachst?

Was so schön ist am Alleinsein, kann man nicht erklären, wenn man es spüren kann, befreit es einen von diesem ständigen Druck, andern gefallen zu müssen und dabei sein zu müssen. Es geht nicht ganz weg, es gibt immer wieder Lebensumstände, wie Verlust, die einem klar machen, dass man sich hat doch wieder "beruhigen" lassen. Ich vermute, unser Leben ist ein ständiger Tanz auf einer Skala zwischen unerträglicher Einsamkeit und Euoprischer Verbindung mit z.B. einem anderen Menschen (Verliebtsein). Da gehts mal stärker zu einer Seite, mal wieder zur anderen Seite...und wenn man sich allzu sicher fühlt (Ehe, Arbeitsvertrag, Bankkonto...) gehts auch wieder schlagartig zurück. Diese Übungen, das Untersuchen der eigenen Befindlichkeiten und Hintergründe, das Ausprobieren und Risiko zulassen, einen Vertrauensvorschuss geben und dann doch wieder zu viel vertraut zu haben, das wird wohl mehr oder weniger unser Leben sein. Hinter einer großen Angst und Abneigung verbirgt sich manchmal eine Gelegenheit zu großer Freude. Daher würde ich dir vorschlagen, bei diesen Übungen und Experimenten mutig zu sein.

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Sinarellas
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Beitrag Mi., 28.12.2022, 12:25

"Eine Borderline-Persönlichkeitsstruktur wurde kürzlich diagnostiziert"
Für mich klingt das was du beschreibst, sehr nah an dem Symptom-Cluster der BL-Struktur.
Ambulante Therapie, mit Fokus auf selbstständig werden, wenn du alleine bist, ggf. eine Abwandlung der DBT / auch im stationären Kontext, mit angeschlossener weiteren ambulanten Therapie, dürfte eine gute Verbesserung erzielen.

Du persönlich kannst lernen zu üben, welche Fertigkeiten / Skills / Fähigkeiten du für dich etablieren kannst, um alleine sein auszuhalten. Dein Abhängigkeitsverhältnis kann so abgeschwächt werden.
Dein Umgang, den du damals mit deiner Ex-Partnerin hattest, war sicherlich vorher bereits geprägt von der Borderline-Struktur und noch früher im ggf. Bindungstrauma begründet. Sicherlich hat die Ex-Partnerin das durch ihre eigene Symptomatik verstärkt.

Ich würde wohl üben, einerseits wie lange kann ich alleine sein, wann fangen die Symptome konkret an, welche Vorzeichen gibt es, dass es in Schwermut umschwenkt und dann prüfen, was ich brauche, damit ich durch die Zeit besser komme. Ideen und Anregungen vom Therapeuten holen, man selbst sieht oftmals nicht, was noch kreativ helfen kann, damit du besser mit dir alleine zurecht kommst.

Schau dich nach anderen Betroffenen um, ggf. SHG als Anker nutzen, Betroffenen-Communitys ansehen, schauen, wie andere damit umgehen und nicht alles abstreifen, nach dem Motto "Die Diagnose ist falsch, ich hab kein Borderline", sondern offen neues ausprobieren und vor allem dranbleiben, nicht sofort aufgeben, wenn etwas nicht gut funktioniert, sondern justieren.
..:..

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BelugaWal
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Beitrag Mi., 28.12.2022, 13:54

Danke für Eure Antworten!

Eine engere Bekanntschaft hat mir letztens gespiegelt, dass ich keine Ziele im Leben habe. Ich habe ein abgeschlossenes Studium, arbeite aber nicht darin, sondern gehe einem Minijob und paar Hobbies nach. Ich würde gerne eine mich erfüllende Tätigkeit mehr Stunden pro Woche machen; irgendeine soziale Tätigkeit, die ich als sinnvoll erachte. (Ich erachte Jobs, in denen ich mein technisches Studium nutzen würde, als sozial nicht sinnvoll; zumindest nicht in direkter Wirkungsweise. D.h. sicherlich profitiert die Menschheit vom Ingenieurswesen, aber ich habe keinen direkten Umgang mit Menschen mit direktem Feedback.)

Und durch meine Ziellosigkeit würde ich mich eher durch mein soziales Umfeld überdefinieren, was zur Coabhängigkeit führt -- zumindest so die Gedankengänge zwischen mir und meiner Bekanntschaft.

Keine Sorge: Ich nehme Eure Antworten ernst! Ich denke nur, dass ich das Problem multimodal lösen sollte und meine Tätiglosigkeit und mein tägliches 10-Stunden-Schlafen definitiv in die Problematik reinspielt.
Sinarellas hat geschrieben: Mi., 28.12.2022, 12:25 "Eine Borderline-Persönlichkeitsstruktur wurde kürzlich diagnostiziert"
Für mich klingt das was du beschreibst, sehr nah an dem Symptom-Cluster der BL-Struktur.
Ambulante Therapie, mit Fokus auf selbstständig werden, wenn du alleine bist, ggf. eine Abwandlung der DBT / auch im stationären Kontext, mit angeschlossener weiteren ambulanten Therapie, dürfte eine gute Verbesserung erzielen.
Mein Verhaltens-Therapeut hat leider keine Spezialisierung auf DBT. Es gibt eine ambulante DBT-Skillgruppe in einer universitären Einrichtung hier in der Stadt, aber die Krankenversicherung würde nicht meine Verhaltenstherapie und die DBT-Skillgruppe parallel bezahlen (hat mein Therapeut bei meiner KV explizit angefragt).
Hiob hat geschrieben: Mi., 28.12.2022, 12:12Ich gehe davon aus, dass das auch Teil deiner Therapie ist und du diese Übungen mehr oder weniger unfreiwillig mitmachst?
So richtig in diese Hausaufgabenbereiche sind wir noch nicht gekommen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nicht genügend Therapiefortschritte mache und mein Therapeut nicht der geeignete Therapeut für meinen aktuellen Lebensabschnitt ist.
Sinarellas hat geschrieben: Mi., 28.12.2022, 12:25Dein Umgang, den du damals mit deiner Ex-Partnerin hattest, war sicherlich vorher bereits geprägt von der Borderline-Struktur und noch früher im ggf. Bindungstrauma begründet. Sicherlich hat die Ex-Partnerin das durch ihre eigene Symptomatik verstärkt.
(Ich möchte das hier nicht weiter vertiefen, aber klarstellen, dass es mehr war als nur, dass sie es verstärkt habe. Klar, mein ängstlicher Bindungsstil und Nicht-Alleinsein-Können haben auch was zur Toxizität beigetragen, aber das steht in keinem Verhältnis zu ihren ständigen Trennungen und vereinzelt auch körperlichem Missbrauch!)
Hiob hat geschrieben: Mi., 28.12.2022, 12:12Leider kann das dann zahlreiche Geschichten schreiben, in denen andere dein Bedürfnis nach Gemeinschaft ausnutzen. Möglicherweise bist du da von allzu schmerzhaften Erfahrungen verschont geblieben, viele Menschen erleben das, was du an dir schon länger bemerkst, dann erst durch schwerste Enttäuschung oder sonstigen Zerfall ihres Lebens.
Diese schwerste Enttäuchung habe ich nur mit meiner Ex-Beziehung erlebt. Typischerweise kann ich Gemeinschaften meiden, die mir nicht gut tun oder wir einfach inkompatibel sind. Mit meiner Ex-Beziehung war das anders :)
Hiob hat geschrieben: Mi., 28.12.2022, 12:12Risiko zulassen, einen Vertrauensvorschuss geben und dann doch wieder zu viel vertraut zu haben, das wird wohl mehr oder weniger unser Leben sein.
Tatsächlich bin ich in dieser Hinsicht sehr optimistisch und gebe mich Menschen recht offen und freundschaftlich.
Auch wenn mir eine engere Bekanntschaft letzens gespiegelt hat, dass ich noch offener sein könnte.

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Griselda
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Beitrag Mi., 28.12.2022, 23:53

Und warum gehst du nicht richtig arbeiten? Man kann im Ingenieurswesen auch einen sozialen Arbeitsplatz finden z.B. in großen Teams, als Führungskraft, als Auszubildender, im Kundendienst.... Da wärst du schonmal 8 Stunden mit sozialen Interaktionen beschäftigt und abends ausgepowert.

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BelugaWal
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Beitrag Do., 29.12.2022, 00:36

Griselda hat geschrieben: Mi., 28.12.2022, 23:53Und warum gehst du nicht richtig arbeiten? Man kann im Ingenieurswesen auch einen sozialen Arbeitsplatz finden z.B. in großen Teams, als Führungskraft, als Auszubildender, im Kundendienst.... Da wärst du schonmal 8 Stunden mit sozialen Interaktionen beschäftigt und abends ausgepowert.
Ich bin aktuell nicht auf Lohnarbeit angewiesen, daher kann ich mir Tätigkeiten und Stundenzahl, zu denen ich mich vertraglich verpflichte, genau aussuchen. (Ein Privileg, welches eigentlich jeder haben sollte -> politisch -> offtopic.)

Die genannten Beispiele werden meinen sozialen Bedürfnissen nicht gerecht. Für mich bedeutet sozial mehr als nur die Interaktion mit anderen Menschen auf einer fachlichen oder arbeitsorientierten Ebene. Ich suche oft tiefere emotionale Bindungen zu Menschen mit ähnlichen Werten. Ich denke, ich tue das, weil ich jahrelang in meiner Kindheit und Jugendzeit keine einzige tiefere emotionale Bindung hatte.
Tatsächlich versuche ich Gespräche und zwischenmenschliche Beziehungen sehr oft recht schnell auf eine tiefere Ebene zu ziehen.
Reine Arbeitsgespräche mit Menschen, zu denen ich keine tiefere Bindung habe? Auf sowas hätte ich nur begrenzt Lust, maximal paar Stunden pro Woche.
Außerdem möchte ich einer Tätigkeit nachgehen, die sich für mich direkt sinnvoll anfühlt.

Es ist eher selten, dass Tätigkeiten in der Industrie diese beiden Anforderungen erfüllen, oder?
In meinem Minijob betreue ich Kinder und das erfüllt ungefähr beide Anforderungen :) (Natürlich würde ich meine emotionale Bindung zu den Kindern nicht als tief auf Augenhöhe bezeichnen; aber es gibt definitiv eine und die Kinder spiegeln mir das auch.)

Oder vielleicht bin ich auch nur abhängig von ständiger sozialer Validierung in all meinem Tun? Hmhmhm.

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chrysokoll
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Beitrag Do., 29.12.2022, 12:59

Nicht auf Lohnarbeit angewiesen zu sein ist Luxus und Fluch zugleich.
Du hast damit jedoch die Freiheit dir aussuchen zu können was du tust. Also auch was du mal in Zukunft tun möchtest. Du könntest dir ein erfüllendes Ehrenamt suchen. Da gibt es sehr viel mehr als einem so auf Anhieb einfällt, Ehrenamt geht mit Kindern, Alten, Behinderte, Geflüchteten etc. Aber neben dem sozialen Bereich eben auch in den Ebenen Kultur, Sport, Ökologie etc. Wenn du da wirklich was machen willst dann hör dich aktiv um, such danach wie nach einem guten Auftrag, hospitiere etc.

Und was du schreibst klingt auch sehr verkopft. Ich meine das nicht als Vorwurf.
Nur kann gar nicht jedes Gespräch sofort "tief" gehen. Auch nicht mit engen Freunden. Es fängt meist einfach an, auch und grade im Bereich Arbeit, Bekannte, Ehrenamt. Das zu investieren ist eine Grundvoraussetzung. "Keine Lust" da drauf führt eher nicht zum Erfolg.

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Griselda
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Beitrag Do., 29.12.2022, 13:55

Mein Therapeut sagte ein Patient das Ziel der Therapie sei Arbeits- und Liebesfähigkeit wieder herzustellen. Dann sei ein Patient geheilt.

Arbeit ist ein sehr stabilisierender Faktor im Leben. Dass du als Ingenieur keine sinnstiftende Stelle finden kannst, halte ich für Ausflüchte. Es gibt nicht nur die kapitalistischen Industriestellen, man kann auch im öD arbeiten, bei NGOs, selbstständig sein oder in den Lehrbetrieb gehen.
Das was du in der Ökokommune erfahren hast, spielt sich im Grunde auch am Arbeitsplatz ab. Jeder erledigt seine Aufgaben, es gibt Kaffeepausen, Mittagessen gemeinsam... und man erfährt Wertschätzung für das Geleistete.

Du scheinst ein intelligenter Mensch zu sein, der seine Zeit nun damit verbringt zu "theoretisieren" statt ins Gestalterische zu gehen. Ich sag das jetzt mal so direkt.
Den Platz im Leben findet man nicht so durch Überlegung, man muss schon ausprobieren.

Eine tiefe Bindung entsteht im übrigen nicht automatisch durch tiefe Gespräche. Ich war in Selbsthilfegruppen und hatte emotional berührende Gespräche. Kontakt zu den Teilnehmern habe ich jedoch schon kurz danach keinen mehr gehabt. Und ich wette mit den Mitgliedern der Ökokommune geht es dir genauso.

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Hiob
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Beitrag So., 01.01.2023, 11:56

Griselda: "Mein Therapeut sagte ein Patient das Ziel der Therapie sei Arbeits- und Liebesfähigkeit wieder herzustellen. Dann sei ein Patient geheilt.
Arbeit ist ein sehr stabilisierender Faktor im Leben. Dass du als Ingenieur keine sinnstiftende Stelle finden kannst, halte ich für Ausflüchte."


Manchmal gruselt mich vor meinen Mitmenschen. Aber wie sollte diese Gesellschaft auch so kalt und herzlos geworden sein, wenn die Menschen diese Sichtweisen nicht übernommen und anderen weitergegeben hätten.

Ich vermute: "An die Arbeit, du Nichtflüchtling!" ...ist nicht das Hauptproblem von BelugaWal.

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BelugaWal
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Beitrag So., 15.01.2023, 01:44

Griselda hat geschrieben: Do., 29.12.2022, 13:55Das was du in der Ökokommune erfahren hast, spielt sich im Grunde auch am Arbeitsplatz ab. Jeder erledigt seine Aufgaben, es gibt Kaffeepausen, Mittagessen gemeinsam... und man erfährt Wertschätzung für das Geleistete.
Bis darauf, dass an normalen Arbeitsplätzen der gesellschaftliche Durchschnitt anzufinden ist, welcher unter meinen Prinzipien lebt. Ich habe starke Prinzipien & Werte (Feminismus, Veganismus, Antikapitalismus, Wertschätzung aufgrund der Persönlichkeit unabhängig vom Geleisteten).
Wenn ich auch nur den Durchschnitt der Gesellschaft erfahre und höre, wie jemand sich sexistisch, geldorientiert, ableistisch oder über das Töten von Tieren zum menschlichen Konsum in Industrieländern äußert -- ich könnte kotzen.
Dieser geschriebene Absatz klingt sogar für meine Ohren gerade arrogant, aber er spiegelt genau das wider, was ich denke.

Ich bitte Euch, Euch nicht auf meine konkreten Werte zu versteifen :) Es ist eher das übergeordnete Phänomen, was mich in diesem Thread beschäftigt. Durchwegs in meinem Leben fühlte ich, am falschen Ort zur falschen Zeit mit den falschen Personen zu sein. Es ist diese Suche, dieses Wagnis, genau diesen Dreiklang regelmäßig in meinem Leben intonieren zu lassen, das ich so sehr zu erhaschen ersuche. (Zu poetisch?)
Griselda hat geschrieben: Do., 29.12.2022, 13:55Du scheinst ein intelligenter Mensch zu sein, der seine Zeit nun damit verbringt zu "theoretisieren" statt ins Gestalterische zu gehen. Ich sag das jetzt mal so direkt. Den Platz im Leben findet man nicht so durch Überlegung, man muss schon ausprobieren.
Hier stimme ich voll zu -- Danke!!
Griselda hat geschrieben: Do., 29.12.2022, 13:55Eine tiefe Bindung entsteht im übrigen nicht automatisch durch tiefe Gespräche. Ich war in Selbsthilfegruppen und hatte emotional berührende Gespräche. Kontakt zu den Teilnehmern habe ich jedoch schon kurz danach keinen mehr gehabt. Und ich wette mit den Mitgliedern der Ökokommune geht es dir genauso.
Darüber habe ich eine Zeit lang nachgedacht und gebe dir recht! Ich habe einige Bekanntschaften, mit denen ich schon tiefe Gespräche hatte, wenn ich sie denn zufällig mal angetroffen habe. Aber ein freundschaftliches Kontakthalten ist da nicht drin.

@Hiob: kannst du die Kernaussage deines Beitrags nochmal anders ausdrücken? Ich habe Schwierigkeiten, diese klar zu identifizieren (aufgrund von Ironie und Negation, die ich da vermute widerzufinden).

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münchnerkindl
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Beitrag So., 15.01.2023, 19:44

kann es sein, dass du als Baby/Kleinkind damit traumatisier wurdest, dass deine Bezugspersonen dich länger komplett alleine gelassen haben? Es gab da ja mal so einen "Erziehungstrend" schreiende Babies als Strafe so lange alleine brüllen zu lassen bis sie aufhören zu schreien. Für ein Baby fühlt sich völlig alleine gelassen zu werden aber legitim komplett lebensbedrohlich an da das Baby ja nicht wissen kann dass die Eltern im Nebenraum sind und ein auf sich gestelltes Baby ja nun keine Überlebenschance hat.



Weil diese irrationalen Panikgefühle die du beschreibst hören sich für mich so an wie getriggert werden bei einer Traumatisierung wo die Situation völlig alleine zu sein aufgrund einer Ähnlichkeit uralte, vergrabene Panikgefühle aus deiner Kindheit wieder wachruft.

Was du auch mal rehcerchieren kannst ist ein Phänomen das fehlende Objektpermanenz genannt wird. Objektpermanenz ist das Gefühl, dass Personen aus dem eigenen Umfeld auch dann noch für einen da sind und zur Verfügung stehen wenn sie gerade nicht im Raum anwesend sind. Diese Objektpermanenz entwickelt ein Kind in der Kindheit wenn die Bezugspersonen ausrechend halt geben. Wenn das nihct passiert kann es sein dass man auch als Erwachsener noch das Gefühl hat dass eine Person aus dem engen Umfeld aus dem Leben verschwunden ist sobald sie nicht mehr persönlich anwesend ist

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Hiob
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Beitrag Di., 17.01.2023, 11:56

Belugawal: "Bis darauf, dass an normalen Arbeitsplätzen der gesellschaftliche Durchschnitt anzufinden ist, welcher unter meinen Prinzipien lebt. Ich habe starke Prinzipien & Werte (Feminismus, Veganismus, Antikapitalismus, Wertschätzung aufgrund der Persönlichkeit unabhängig vom Geleisteten).
Wenn ich auch nur den Durchschnitt der Gesellschaft erfahre und höre, wie jemand sich sexistisch, geldorientiert, ableistisch oder über das Töten von Tieren zum menschlichen Konsum in Industrieländern äußert -- ich könnte kotzen."

Du kannst nur schwer alleine sein, aber die Gegenwart anderer stößt dich ab, weil sie allzu oft unter deinem Niveau ist.
Ist das richtig so? Was würdest du denn daraus schlussfolgern?

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BelugaWal
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Beitrag Di., 17.01.2023, 20:01

münchnerkindl hat geschrieben: So., 15.01.2023, 19:44 kann es sein, dass du als Baby/Kleinkind damit traumatisier wurdest, dass deine Bezugspersonen dich länger komplett alleine gelassen haben?
Eher nicht, meine Mutter war eher übermäßig vereinnahmend. Meine Mutter hat wahrscheinlich narzisstische Persönlichkeitsstrukturen (vorsichtige Fern-/Fremddiagnose meines Therapeuten + Eigenrecherche von mir).
Ich wurde damit traumatisiert, dass meine häusliche Umgebung von Chaos, Unordnung, Unberechenbarkeit geprägt war. Jeden Tag war wegen irgendetwas Streit mit Anschreien -- zwischen meinen Eltern und auch mit mir.
Ich habe in meiner Kindheit nie einen sicheren Hafen erlebt.
münchnerkindl hat geschrieben: So., 15.01.2023, 19:44Was du auch mal rehcerchieren kannst ist ein Phänomen das fehlende Objektpermanenz genannt wird.
Danke für den Begriff!
Hiob hat geschrieben: Di., 17.01.2023, 11:56Du kannst nur schwer alleine sein, aber die Gegenwart anderer stößt dich ab, weil sie allzu oft unter deinem Niveau ist.
Ist das richtig so? Was würdest du denn daraus schlussfolgern?
Fast -- es ist nicht die Gegenwart aller anderen, sondern nur vieler.
Die Schlussfolgerung (oder auch Ursache) ist, dass viele in der Gesellschaft durch komplexe gesellschaftspolitischen Phänomene davon verblendet sind, ein empathisches, offenes, vulnerables, diskriminierungsfreies Ich zu zeigen.

Menschen haben mir öfters schon mangelnde Sozialkompetenz oder Alleingang zugeschrieben. Dabei bin ich nur wahnsinnig selektiv und stelle hohe Sozialanforderungen.

Ich spreche gerne und viel mit Menschen. Ich gehe gerne auf Menschen zu, die mir nicht verblendet erscheinen. So treffe ich manchmal auch interessante Weggefährten. Zum Beispiel habe ich mich letztens mit einem ca. 50-60-jähriges Ehepaar in einem Cafe über komplexe Themen unterhalten. Oder ein ander Mal mit einem Ex-Hippie aus den 70ern, den ich im Zug traf.

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münchnerkindl
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Beitrag Di., 17.01.2023, 20:16

BelugaWal hat geschrieben: Di., 17.01.2023, 20:01
münchnerkindl hat geschrieben: So., 15.01.2023, 19:44 kann es sein, dass du als Baby/Kleinkind damit traumatisier wurdest, dass deine Bezugspersonen dich länger komplett alleine gelassen haben?
Eher nicht, meine Mutter war eher übermäßig vereinnahmend. Meine Mutter hat wahrscheinlich narzisstische Persönlichkeitsstrukturen (vorsichtige Fern-/Fremddiagnose meines Therapeuten + Eigenrecherche von mir).
Ich wurde damit traumatisiert, dass meine häusliche Umgebung von Chaos, Unordnung, Unberechenbarkeit geprägt war. Jeden Tag war wegen irgendetwas Streit mit Anschreien -- zwischen meinen Eltern und auch mit mir.
Ich habe in meiner Kindheit nie einen sicheren Hafen erlebt.


Genau das meine ich. Narzissten können körperlich da sein und sehr vereinnahmend sein. Aber im Leben des Narzissten geht es nur um eins, nämlich das Wohlergehen und die Launen und Bedürfnisse des Narzissten. Ich würde mal sagen, mit einem Narzissten bist du fast schon noch mehr alleinegelassen als wenn du niemanden hättest, weil dem Narzissten sind deine Bedürfnisse nicht nur schnurz-piep-egal, der Narzisst benutzt dich auch noch in jeder Lebenslage entweder als Müllabladestelle für seinen Frust oder aber um dich emotinal auszusaugen.

VERDAMMT alleine, so eine Existenz.

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Sinarellas
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Beitrag Mi., 18.01.2023, 07:23

> Dabei bin ich nur wahnsinnig selektiv und stelle hohe Sozialanforderungen.

Nette Umschreibung für deine Von-Oben-Herab-Art, die du schriftlich ausdrückst (ließ mal deinen eigenen Text). Du stellst dich über andere und lässt damit "mangelnde Sozialkompetenz " durchscheinen - stimmt. Da dich das aber wenig stört, weiß ich eigentlich nicht genau, was dein Problem so wirklich ist.
..:..

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