Wie weit geht die Schweigepflicht

Hier können Sie Ihre Fragen rund um die Rahmenbedingungen von Psychotherapie (Methoden, Ablauf usw.) anbringen.

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Simone86
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Wie weit geht die Schweigepflicht

Beitrag Fr., 03.03.2023, 00:43

Liebe Leute!

Ich bin etwas unsicher, wie weit die Schweigepflicht geht.

Ich war bis vor ein paar Monaten bei einer anderen Therapeutin (ich hab sie aus einem anderen Grund gewechselt (weil sie umzog)). Sie hat mir öfter Beispiele von anderen Klienten erzählt, wobei sie nie irgendwelche Details zu den Personen gesagt hat also Name, Adresse, Geburtsdatum etc., aber schon konkrete und wahre Fälle von damals aktuellen Klienten. Ich hab sie dann schon gleich am Anfang darauf angesprochen und sie hat gesagt, sie muss das anonymisieren, dann darf sie Beispiele sagen.

Seit Anfang Jänner bin ich jetzt bei einem neuen Therapeuten, dem ich auch sehr vertraue, und der hat bis jetzt nur oberflächlich über andere Geschichten geredet. Ich würde aber gerne wissen, wie das rechtlich und moralisch in Ordnung ist, und ob es üblich ist, dass Therapeuten anonymisiert mit deren Freunden, Familie, anderen Klienten etc. über deren Fälle reden?

Ich habe mir auch noch ein Beispiel überlegt: Angenommen ein Therapeut erzählt seinem Freund A, dass er einen Klienten B hat, der Drogen nimmt. Zufälligerweise kennt A den B, was der Therapeut nicht weiß. A weiß auch, dass B bei dem Therapeuten in Therapie ist und hat schon vorher den Verdacht gehabt, dass B Drogen nimmt. Obwohl der Therapeut keinen Namen genannt hat, erzählt A jetzt B, dass der Therapeut das erzählt hat und fragt B, ob es da um ihn geht, was B sehr unangenehm findet.

In diesem unwahrscheinlichen, aber durchaus möglichen Fall ist es also zu einer Identifikation gekommen, obwohl aus der Aussage "ich habe einen Klienten, der Drogen nimmt" absolut kein Rückschluss auf eine Person möglich ist. Wie ist das hier moralisch und rechtlich gesehen?

Ich würde mich über eure Antworten freuen! :-D

Lg
Simone :lol:

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Sydney-b
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 01:25

Du stellst ja zwei Fragen, bei denen die Antworten sehr voneinander abweichen können.

Als Moral werden die Werte und Regeln bezeichnet, (die zu dieser Zeit gelten) die in einer Gesellschaft allgemein anerkannt sind.
Wenn man also moralisch handelt, verhält man sich so, wie die meisten Menschen es als richtig und gut finden.
(Ändert sich je nach Zeitgeist.)

Rechtlich bedeutet, nach geltendem Gesetz.
Wenn man gegen ein geltendes Gesetz verstößt, kann man dafür vom Gericht bestraft werden.
Manchmal muss man deshalb sogar ins Gefängnis.

Wenn man moralisch nicht einwandfrei handelt, sich aber an geltende Gesetze hält, kann man dafür nicht ins Gefängnis kommen.
Die betreffenden Mitmenschen können einen deshalb trotzdem ächten.

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Sydney-b
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 01:41

In Supervision zB werden manche Fälle anonymisiert behandelt.
Dafür ist die Supervision schließlich da.

Rechtlich und moralisch wäre eine anonymisierte Fallbesprechung für mich völlig in Ordnung.
Aber da stehen auch alle unter Schweigepflicht, ist nochmals eine andere Situation.

In deinem Fall hat A ja nur einen Verdacht.
Er kann nicht mit Sicherheit wissen, dass B gemeint ist.
Schließlich könnte auch jeder andere Patient des Therapeuten damit gemeint sein.
Wenn B also sagt: Nee, da geht es nicht um mich….
Dann weiß A auch nicht mehr als vorher.

Wenn ich B wäre, wäre mir das auch sehr unangenehm, selbst wenn ich gar kein Problem mit Drogen habe.
Nachher setzt A vielleicht noch ein Gerücht in die Welt, welches überhaupt nicht stimmt.

Rechtlich gesehen: Aus welchem Anlass hat der Therapeut mit A über den drogensüchtigen Klienten gesprochen?
Aus beruflichen Gründen?

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R.L.Fellner
Psychotherapeut
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 04:43

Liebe Simone,

rein aus rechtlicher Sicht ist Ihrer Therapeutin da wohl nichts vorzuwerfen, berufsethisch halte ich es jedoch offen gesagt für unpassend, weil es - so wie ja von Ihnen beschrieben - natürlich unweigerlich die Frage aufwirft, ob sie z.B. anderen KlientInnen auch über einen selbst "Geschichten erzählen" würde, oder einer davon die eigene Geschichte identifizieren könnte (und einem daraus womöglich Nachteile erwachsen könnten).

Natürlich kann es vorkommen, dass sich einem als PsychotherapeutIn bei bestimmten besprochenen Themen oder Aspekten Assoziationen zu anderen Personen bzw. Lebensgeschichten "aufdrängen" (das müssen nicht mal nur KlientInnen, sondern könnten ja auch persönlich Bekannte aus dem Privatleben sein), aber es verbietet sich meiner Einstellung nach, a) hier allzu detailliert zu werden, und b) frage ich mich i.d.R. auch ganz grundsätzlich, wie weit es überhaupt tatsächlich sinnvoll und nützlich wäre, die "Geschichten anderer" anzusprechen. Dies kann der Fall sein, häufiger ist er es aber nicht: Dann behalte ich es bei mir. Es geht ja in einer Therapiesitzung nicht um mich, meine eigenen Assoziationen, erlebten "Geschichten" oder Anekdoten, sondern um die der KlientInnen.
Nebenbei beinhaltet regelmäßiges Erzählen von Anekdoten aus dem Therapeutenleben (inkl. dem, was er/sie in der Praxis "erlebt") immer auch ein nicht unerhebliches Risiko von Projektion, Übertragung ... ja selbst, wenn "nur" ein Abgleiten in Kaffeeklatsch die Folge wäre, wäre es unpassend. Dafür sind Therapiesitzungen nicht da.

Ich hoffe, die beschriebenen Überlegungen helfen Ihnen etwas weiter,
R.L.Fellner

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saffiatou
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 10:47

Ich habe mich gegen Therapeuten entschieden, die mir in den ersten Gesprächen bereits viel von anderen Patienten berichtet haben, auch wenn es vollkommen anonymisiert war. Aber ich bin die Person die in der Stunde ist und niemand anderes! Ich will auch nicht mit anderen verglichen werden, ich will nichts über die Probleme der anderen hören etc. es geht um mich!

Es kann ja mal sein, dass ein tehra sagt, dass er noch eine/n Patienten hat, der an so einen Problem leidet. Das wäre für mich ok. Aber wenn es immer wieder vorkommt: No-Go

Mein erster und bester Thera, hat nie! in den ganzen Jahren auch nur einmal von anderen Patienten gesprochen. Dieser Thera hat die Schweigepflicht sehr eng gesehen! Und genau daher konnte ich ihm vertrauen.

Dann hatte ich noch einen Thera (prob. Sitzung) da hatte ich das Gefühl, dass er seine Patienten als Gespräch beim Abendessen nutzt, seine Frau war der "AB" und er hat sich unglabulich dispektierlich über anderen Patienten ausgelassen.
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Inga
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 11:02

Ich habe einen Beruf, in dem es ebenfalls Schweigepflicht gibt. Wir haben in der Ausbildung gelernt, darauf zu achten, dass die blosse Anonymisierung (keinen Namen nennen, aus einer Frau einen Mann machen etc.) nicht immer genügt, um die Schweigepflicht zu wahren, gerade weil es zu Situationen ähnlich wie der von Dir beschriebenen kommen kann. Wenn ich z.B. im Gefängnis arbeite (tue ich nicht ;-) ) und einem Bekannten erzähle, dass dort aktuell jemand in U-Haft sitzt, dem x und y vorgeworfen werden, vor allem von seiner geschiedenen Frau, was aber wenig glaubwürdig ist wg. z - dann kann es eben sein, dass mein Gesprächspartner, ohne dass ich es weiss, mit der Frau bekannt ist und sie somit Dinge erfährt, die sie nicht wissen darf.
Also, ja, das ist ein ernsthaftes Thema und man muss darauf achten, wenn man erzählt. Meine eigene Therapeutin hat auch manchmal Beispiele aus ihrer Praxis genannt, aber die waren dann so rudimentär und auf den einen Punkt beschränkt, den sie mir mitteilen wollte, dass ich keine Probleme damit hatte.

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Gespensterkind
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 11:52

Auch wenn der Therapeut sich an die Schweigepflicht hält, so würde ich doch zusätzlich auch sehr auf mein Gefühl achten und kann mich daher den Vorschreibern nur anschließen:
Ich würde nicht zu einem Therapeuten gehen, der mir (auch in anonymisierter Form) von Beispielen anderer Patienten berichtet. Das bin nicht ich und ich bin auch mit niemand anderem vergleichbar. Und es wäre mir darüber hinaus unangenehm, Probleme oder Beispiele von anderen Patienten zu hören.
Wenn mein Therapeut das tun würde, dann würde ich ihn darauf hinweisen, dass ich das nicht möchte.
Mein Therapeut bringt keine Beispiele oder erzählt von anderen Patienten. Manchmal frage ich selbst, wie das denn bei anderen Patienten ist. Dann sagt er höchstens was sehr Allgemeines: "manche Patienten befürchten XY" - schlägt dann aber sofort den Bogen wieder zu mir, warum ich das denn wissen möchte und warum mir das wichtig sei, zu wissen, wie es bei anderen ist.
Das finde ich richtig.
Ich arbeite auch in einem Bereich, in dem es oft um Schweigepflicht geht. Ich erzähle anderen überhaupt nichts über Kunden. Zu Hause kann es vorkommen, dass ich meinem Partner erzähle, wenn ich einen schwierigen Tag mit anstrengenden Kunden hatte. Aber natürlich keine Namen etc. Außerdem weiß ich da mit Sicherheit, dass mein Partner diese nicht kennt und auch nicht kennenlernen wird.

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Sinarellas
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 11:57

für mich waren Beispiele aus anderen Fällen und Patienten äußerst hilfreich, wenn auch nur kurz reingestreut, gab es mir das Gefühl mit einer Symptomatik nicht alleine zu sein.
Aber sie hat das auch geschickt getan und ich vermute schlicht Details verändert um keine Rückschlüsse zu erlauben (Statt Klientin ein Klient, Zeiteinheiten vermieden also sowas wie vor ein paar Jahren gabs nicht sondern ein ich kenne einen Fall wo...) .
..:..


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Simone86
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 13:25

Sydney-b hat geschrieben: Fr., 03.03.2023, 01:41 In Supervision zB werden manche Fälle anonymisiert behandelt.
Dafür ist die Supervision schließlich da.
Danke für die Antworten!

In der Supervision ist es finde ich auch etwas anderes, das hat mein Therapeut aber auch am Anfang mit mir abgesprochen.
Sydney-b hat geschrieben: Fr., 03.03.2023, 01:41 Rechtlich gesehen: Aus welchem Anlass hat der Therapeut mit A über den drogensüchtigen Klienten gesprochen?
Aus beruflichen Gründen?
Nein, aus privaten Gründen.

Meine Ex-Therapeutin wollte mir mit ihren Geschichten etwas veranschaulichen, also hat sie mir z.B. erzählt einer ihrer Klienten hat das so und dann gefragt, ob das bei mir auch so ist.

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saffiatou
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Beitrag Fr., 03.03.2023, 14:21

Das hätte sie auch ohne Klienten zu beschreiben oder aus deren „Akte“ zu berichten machen können: „ es gibt Menschen, die…. , ist das bei Ihnen auch der Fall“.

Ich finde es oft eigenartig, wenn Therapeuten so oft über andere Patienten erzählen, das ist meiner Meinung nach nicht (unbedingt) hilfreich oder notwendig.
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Fernweh83
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Beitrag Sa., 04.03.2023, 15:15

Hi,

dieses Thema hat mich neulich auch etwas beschäftigt.

Meine Thera hatte -eigentlich nur nebenbei- von einer Person gesprochen (keinen Namen genannt) , die ich in der Folge direkt zuordnen konnte. In der Familie dieser Person gibt es eine "Besonderheit" die sehr selten vorkommt und außerdem weiß ich dass diese Person Patient in der Praxis war. Ich kenne nun u.a. die Diagnose dieser Person, was mich schon etwas schockiert... Also nicht die Diagnose an sich, aber was wenn sie mit meinen Daten auch so umgeht? Treibt mich schon etwas um :(

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saffiatou
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Beitrag Sa., 04.03.2023, 15:24

Genau aus diesem oben geschilderten Grund, Fernweh83, sollte es mit der Schweigepflicht eben doch strenger gehandhabt werden, als so manche Theras das halten. Es reicht eben manchmal nicht, nur den Namen zu anonymisierten, bzw. wegzulassen. Manchmal ist die Welt sehr klein. Es bedeutet auch Verantwortung, auch eine, die die thera mit ihrem Wissen auf dich übertragen hat. Ich finde es e8nfach nicht ok.

Ein anderer Patient hat in der „Stunde meiner Meinung nach nichts zu suchen“, es geht um mich.
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Fernweh83
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Beitrag Sa., 04.03.2023, 16:06

100% Zustimmung!

Und ich finde tatsächlich auch, dass Theras überhaupt keine Details aus dem Leben anderer Patienten erzählen sollten, die Rückschlüsse ermöglichen denn auch Falschzuordnungen können fatal sein bzw. wenn sowas dann weitererzählt wird -aus welchen Gründen auch immer- (also zB eine Diagnose, die gar nicht gestellt wurde), mag mir die Folgen gar nicht ausdenken. Bin auch für eine 100% Schweigepflicht!!

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Sydney-b
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Beitrag Sa., 04.03.2023, 16:51

Fernweh, hast du deiner Therapeutin deine Vermutung mitgeteilt?
Würde ich in deinem Fall auf jeden Fall machen!
Damit sie Bescheid weiß, dass du Rückschlüsse auf die beschriebene Person gezogen hast.
Ihre Antwort wäre sehr interessant.

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Fernweh83
sporadischer Gast
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Beitrag Sa., 04.03.2023, 17:39

Bisher noch nicht.

In dem Moment war mir die Tragweite noch nicht so bewusst und ich hab mir nur gedacht: Aha, das kann ja nur XY sein! Ganz erstaunt über den Zufall, und auch etwas peinlich berührt/beschämt (finde nicht so das richtig passende Wort für mein Gefühl in dem Moment) aber gesagt hab ich nix. Erst Zuhause wurde mir so richtig bewusst, was abgelaufen ist...

Ich überlege halt, wie ihre Reaktion ausfallen könnte. Entweder sie leugnet es (geht um eine andere Person) oder sie gibt es zu und dann, ja was dann? Eine Entschuldigung möchte ich nicht haben, denn es geht ja nicht um mich, sondern ein Umdenken wäre schön...keine privaten Details mehr, über niemanden...und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich von mir zu einem Umdenken verleiten lassen wird. :( Sie als eine sehr erfahrene Thera und ich als relativ junge & neue Patientin ,mmh , schwierig ..

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