Ab wann ist es Zeit für eine Psychotherapie?

Bulimie, Anorexie, Adipositas, EDNOS (mehr zur Unterscheidung finden Sie in meinen themenbezogenen Artikeln im Archiv, darüber hinaus finden Sie auf der Website auch Selbsttests zum Thema)
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Saysomething99
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Ab wann ist es Zeit für eine Psychotherapie?

Beitrag Mo., 12.11.2018, 23:23

Hallo ihr!

Ich bin neu hier im Forum und weiß noch nicht so recht, wie genau das hier abläuft. Ehrlich gesagt habe ich mich nur angemeldet, weil ich nicht mehr weiter weiß. Essen beschäftigt mich schon immer sehr. Seit ich mich erinnern kann, bin ich übergewichtig. Es ist nicht so schlimm, dass ich keinen Sport mehr treiben kann oder dass ich auf der Straße komisch angeschaut werde, aber trotzdem stört und schränkt es mich in jeder Sekunde meines Lebens ein.
Das hier soll kein Beitrag sein, in dem ich nur jammere. Ich verspreche mir hier von, Antworten zu bekommen, die mich beruhigen und mir sagen, dass alles in Ordnung kommen wird. Auch wenn ich weiß, dass es ein langer Prozess werden und ich wahrscheinlich nie ganz geheilt werden kann.
Vor 3 Jahren ungefähr habe ich 20 Kilogramm abgenommen und konnte daraufhin mein Gewicht für 6 Monate halten. Irgendwann verließ mich meine Disziplin und Selbstbeherrschung, sodass ich mir ab und zu mal was Süßes gönnte, aber immer darauf bedacht, nicht zuzunehmen. Ich hatte wirklich Panik davor und wog mich deshalb auch jeden Tag. Irgendwann wurde es immer schwieriger, denn sogar bei einer geringen Kalorienzufuhr (weniger als 1400kcal pro Tag) nahm ich zu. Es entwickelte sich bald ein Teufelskreislauf, da ich durch jedes Gramm, das ich zunahm, einen noch größeren Selbsthass entwickelte. Je schlechter ich mich fühle, desto mehr Essen stopfe ich in mich hinein. Wie kann ich nur so doof sein? Nicht mal dein Gewicht kannst du halten! So schwer kann das doch nicht sein? All diese Fragen quälten mich so lange, bis ich schließlich aufgab und mich "normal", d.h. wieder mit Kohlenhydraten und Fetten, ernährte.
Dadurch habe ich es "geschafft" nicht nur die ganzen 20 Kilo wieder zuzunehmen, sondern auch noch 10 Kilo mehr auf die Waage zu bringen. Was für eine grandiose Leistung. Ich schäme mich so sehr, sodass ich mich nicht mehr unter Leute traue. Inzwischen habe ich wieder 10 Kilo abgenommen, aber fühle mich immer noch schrecklich.
Dazu kommt noch, dass ich nach ca. einer Woche diszipliniertem Essen immer wieder einen Fressanfall bekomme, bei dem ich 10 000kcal an einem Tag zu mir nehme. Ich wohne seit kurzem alleine, sodass es nicht einmal schwierig ist, diese "Fressattacken" zu verstecken. Trotzdem fühle ich mich danach schrecklich. Ich habe Bauchkrämpfe, Übelkeit und Durchfall. Hauptsächlich beschränke ich mich auf Süßigkeiten, nehme aber auch sonst alles Essbare zu mir, wenn es mich überkommt. Letzten Sonntag bin ich sogar extra zur Tankstelle gefahren, um mir Schokolade und Chips zu kaufen, weil ich nichts mehr daheim hatte. Ich habe mich gefühlt wie eine Süchtige. Wahrscheinlich bin ich süchtig. Ich weiß es nicht. Das "Witzige" an alldem ist ja auch noch, dass ich Psychologie studiere. Ja, da hat sich das Cliché wohl in mir bestätigt.
Jedenfalls weiß ich nicht wirklich, wie ich damit umgehen soll. Jetzt zu meinen Fragen: Ist es Zeit für eine Therapie? Sollte ich es jemandem erzählen und wenn ja, wie mache ich das am besten ohne dass die Person mich für verrückt hält. Ich bin bei meinen Eltern mitversichert. Wisst ihr, ob sie sehen, wenn ich die Therapiestunden über die Versicherung abrechnen lasse? Ist Binge Eating heilbar, also werde ich jemals wieder ein normales Essverhalten an den Tag legen können?

Vielen Dank, falls ihr euch die Mühe macht, einer Verzweifelten wie mir zu antworten!

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IntoDust
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Beitrag Di., 13.11.2018, 10:08

Hallo, liebe Saysomething99,

erst einmal herzlich willkommen im Forum - ich finde es großartig, dass du dir Hilfe suchen möchtest. Wann eine Psychotherapie angezeigt ist, kann man wahrscheinlich gar nicht so allgemein sagen, ich habe für mich allerdings eine "Richtlinie": sobald Leidensdruck besteht.

Wenn ich merke, dass ich mit bestimmten Themen in meinem Leben nicht zurechtkomme und der Leidensdruck permanent da ist und mich einschränkt, dann ist es Zeit. Das gilt, wie gesagt, für mich - aber vielleicht hilft es dir weiter, dich zu fragen, wie stark du den Leidensdruck in Bezug auf dein Essverhalten fühlst? Nach dem, was du geschrieben hast, klingt es nach einer bereits sehr langen Leidensgeschichte mit viel auf und ab. So etwas ist furchtbar anstrengend und ich finde, du solltest dir Unterstützung suchen. Niemand, der therapeutisch arbeitet, wird dich für verrückt erklären.

Gibt es bei euch an der Uni vielleicht eine psychologische Beratungsstelle? Das wäre vielleicht ein erster Anlaufpunkt und die könnten dich eventuell an entsprechend passende Therapeuten weiterschicken?

Ob deine Eltern mitbekommen, dass du eine Therapie machst, wenn du bei ihnen mitversichert bist, weiß ich leider nicht. Aber ruf doch einfach mal bei der Krankenkasse an und frag da nach, die müssten das doch sagen können?

Alles Gute für dich!
Dust

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Kaonashi
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Beitrag Di., 13.11.2018, 11:17

Dieser Jojoeffekt kommt ja ganz häufig vor, da bist du also nicht die einzige.
Ich habe schon Respekt vor jemandem, der es schafft, überhaupt abzunehmen.
Dass man danach wieder zunimmt, liegt häufig daran, dass die Kalorienzufuhr zu weit abgesenkt wurde. Man darf nicht unter dem Grundumsatz essen, weil der Körper sich darauf einstellt und dann mit einer geringeren Kalorienzahl "zufrieden" ist. Sobald man dann nicht mehr so diszipliniert isst, explodiert das Gewicht.

Ich glaube schon, dass Binge-Eating heilbar ist. Aber möglicherweise bleibt dir eine Neigung zu Übergewicht. Doch wenn du es schaffst, dich gesund zu ernähren und zu bewegen, dann ist auch ein bisschen Übergewicht nicht schlimm.

Du könntest mal googeln nach Beratungsstellen an deinem Wohnort.


Waldschratin
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Beitrag Di., 13.11.2018, 11:36

Hallo Saysomething,

ich würde an deiner Stelle auf jeden Fall auch mal zu nem Arzt gehen und checken lassen, ob mit Schilddrüse und Konsorten alles stimmt. Manchmal hat das auch schlicht körperliche Gründe und die gehören sich abgeklärt.

Dann empfehl ich dir das Buch "Fettlogik überwinden" von Dr. Nadja Hermann. Die räumt da mal (medizinisch belegt) mit so manchen überlieferten Sachen auf bzgl. Ernährung.

Wie viel bewegst du dich denn?
Meiner Erfahrung nach (hormon- und stoffwechselgestört von klein auf) kann man über die Bewegung weit mehr erreichen als über "wenig essen" etc.

Ansonsten find ich den Gedanken gut, dich doch mal an ne Beratungsstelle zu wenden und einfach mal erzählen, was ist.

Ich denk schon, dass man auch Binge Eating überwinden kann. Ich selber hatte mal ein paar Jahre Bulimie und habs erfolgreich überwunden. Also auch nicht nur "im Griff", sondern inzwischen bin ich längst recht entspannt, was Nahrungsmittel angeht. (Bin da "anderweitig" recht gefordert, eben wegen der Hormonstörung und weil ich ne Colitis hab).

Ich wünsch dir, dass du bald wirklich "genießen" kannst! :ja:

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Saysomething99
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Beitrag Di., 13.11.2018, 17:49

Hallo!
Die Antworten kame ja schnell. Vielen Dank! Es hat mir sehr geholfen, eure Antworten zu lesen. Ich fühle mich nun ein wenig mehr verstanden. Das Problem ist einfach, dass ich mich zu sehr schäme, um darüber zu reden. Vor allem ist es schwierig mit meinen Freunden, da sie überhaupt keine Probleme mit dem Essen haben und daher oft auch Essen gehen wollen. Ich möchte nicht jedes Mal "Nein" sagen, wenn sie mich fragen, ob ich mitkommen möchte. Aber sobald ich etwas ungesundes (sei es fettig oder zuckerreich) zu mir nehme, brauche ich mehr. Das heißt ich versuche so schnell wie möglich zum nächsten Supermarkt zu kommen, nur um danach das "Geld" in mich reinzustopfen.

@intodust: Was den Leidensdruck angeht hast du ja schon gemerkt, dass er ziemlich hoch ist bei mir. Ich denke so gut wie immer ans Essen. Manchmal kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren. Vor allem wenn eine Klausur ansteht ist das natürlich fatal. In meiner Familie sind eigentlich alle übergewichtig, also glaube ich auch, dass es an meinen Genen liegen kann (natürlich nicht alleine daran, aber eine Veranlagung spielt schon eine Rolle). Trotzdem hab ich Angst davor, es zuzugeben. Denn dann wird es real und ich weiß jetzt schon, dass sich meine Mama richtig Sorgen machen wird. Das will ich ihr eigentlich auch nicht antun, deshalb werde ich es mal mit der Beratungsstelle in meiner Nähe versuchen. Ich bekomme das bestimmt auch alleine hin!

@Kaonashi: Ja, ich habe auch schon unzählige Bücher über den Jojo-Effekt gelesen (auch vor meiner diät), um diesen zu vermeiden. Hat jedoch nicht geklappt. Ich glaube einfach, dass wenn man einmal übergewichtig war, dass man dann immer mit seinem Gewicht zu kämpfen haben wird. Sei es nun, um abzunehmen oder das Gewicht zu halten. Ich finde, das ist einfach anstrengend.

@Waldschratin: Beim Arzt war ich erst vor einem Monat ungefähr und habe dort ein großes Blutbild anfertigen lassen, weil ich mich auch immer so müde und schlapp fühle. Außerdem ist eine Schilddrüßenunterfunktion bei uns in der Familie recht häufig. Jedoch meinte meine Ärztin, ich sei völlig gesund und hätte ein vorbildliches Blutbild mit keinerlei Auffälligkeiten.
Danke für die Buchempfehlung! Das werde ich mir dann wohl kaufen.
Was Sport angeht: Als ich noch Zuhause gewohnt habe, hatte ich 3 mal in der Woche Tennistraining (ich spiele schon mehrere Jahr). Da nun aber Winter ist(Hallentraining ist teuer!), ich ausgezogen bin und nur in den Ferien und manchmal am Wochenende nach Hause gehe, spiele ich nur noch ein paar mal Tennis. Ich liebe diesen Sport! Trotzdem mache ich jetzt auch Unisport (dh ich gehe ins Tanzen, ins Badminton und in einen Bauch-Beine-Po-Kurs). Das sind aber auch nur 3stunden in der woche. Joggen habe ich schon öfter ausprobiert, aber ich bin nie drangeblieben, weil es mir keinen Spaß macht und Homeworkouts finde ich auch langweilig.

Ich bin erleichtert, dass Binge eating anscheinend heilbar ist. Dann lohnt sich eine Therapie auf alle Fälle. Danke nochmals!

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IntoDust
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Beitrag Di., 13.11.2018, 18:18

Zu den Schilddrüsenwerten noch etwas Wichtiges: Lass dir das Ganze bitte in Kopie geben. Sollte beim TSH irgendwas über 1,5 stehen ist das definitiv nicht ok, auch wenn der Normbereich weiter gefasst ist (das ist eine veraltete Normwertangabe). Eine gesunde Schilddrüse hat einen TSH um die 1, und alles drüber kann schon Richtung Unterfunktion gehen und dir das Leben schwer machen. Außerdem sollten fT3 und fT4 mitgetestet worden sein und beide im oberen Drittel des angegebenen Normbereiches liegen.

Leider sind viele Ärzte sehr nachlässig, was das angeht. Ich weiß aus eigener Erfahrung (und auch von vielen anderen mit Schilddrüsenstörungen), dass der Satz "alles in Ordnung" da sehr oft kompletter Blödsinn ist. Lass dir die Werte geben und schau nach, ob es wirklich stimmig ist.

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