Presse-Splitter: "Onlinesucht"

Zusammenfassung eines Interviews mit Thomas Primus, Geschäftsführer von IPOS (Institut z.Prävention von Online-Sucht)

Einführung und Vorstellung:

DSP Richard L. Fellner ist Psychotherapeut und Coach in freier Praxis in der Mahlerstraße, 1010 Wien und Betreiber der erfolgreichen Internetseite www.psychotherapiepraxis.at.

 

Die Internetseite ist in vielerlei Hinsicht interessant. Neben Informationen zum therapeutischen Angebot und Fachartikeln von Herrn Fellner besteht die Möglichkeit zu diversen Selbsttests. Unter anderem ist ein aus 34 Fragen bestehender Test zum Thema Onlinesucht und Onlineverhalten online. Nachdem der Fragebogen ausgefüllt wurde, erhält der Benutzer eine Kurzanalyse und bei auffälliger Gefährdung den Hinweis, sich nach Möglichkeit fachliche Unterstützung zu suchen. Dieser Selbsttest ist seit 1998 online und böte auch die Möglichkeit, eine Längsschnittstudie durchzuführen, da auch demografische Daten enthalten sind.

 

Herr Fellner hatte seit jeher ein großes Interesse im psychologischem Bereich, jedoch fand seine im Sozialbereich begonnene berufliche Karriere durch Zufälle einen längeren "Ausritt" in die IT-Branche. Da auch seine Kollegen sehr eifrig und viele Stunden – auch Überstunden – vor dem Bildschirm verbrachten, machte sich Herr Fellner schon damals Gedanken, wo denn die Grenze zwischen "Fan" und "Freak" liegt. Nicht stoffgebundene Abhängigkeit als diagnostischer Fachbegriff war zu diesen Zeiten noch unbekannt. Nach seinem Wechsel in die Consulting- und Therapie-Branche, und den ersten Besuchern in seiner Praxis, welche von ihrer Internet-Abhängigkeit erzählten, begann Herr Fellner, sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Er gründete die erste österreichische Website zu diesem Thema, stellte die ersten Tests und Studien online und war seiner Zeit wohl sieben Jahre voraus. Herr Fellner kann mit gutem Gewissen als Pionier für Onlinesuchtstudien in Österreich bezeichnet werden, da damals seine Forschungsrichtung noch als exotisch galt.

Onlinesucht Faktoren

Herr Fellner ist der Meinung, dass man Onlinesucht nicht pauschalieren kann, sondern für jedes Individuum, für jeden Klienten/Patienten ein eigenes Profil erstellen muss - die Stigmatisierung etwa ganzer Berufsgruppen als "Junkeys" ist nicht sinnvoll und hilft niemandem weiter. Herr Fellner meint, dass man zwar einerseits in die verschiedenen Suchtträger, Suchtauslöser bzw. Suchtwelten differenzieren kann (Online-Glücksspielsucht, Online-Chatsucht, Online-Spielesucht, sucht-artige Suche nach Pornografie im Internet usw.), sich bei diesen Formen der Abhängigkeit jedoch häufig ähnliche Symptome zeigen.

 

Herr Fellner zeigt fünf Indikatoren für Abhängigkeit auf:

  1. Online-Zeit

    Zwei, drei Stunden am Tag privat zu surfen, ist heutzutage alltäglich, sollten es jedoch mehr als 4-5 Stunden und dies jeden Tag sein, oder wird gar das Alltagsleben oder die Arbeit dadurch vernachlässigt, kann man von einer Störung ausgehen.

  2. Leidensdruck und Kontrollverlust

    Wenn der Klient nicht mehr vom PC loskommt, eigentlich schlafen gehen möchte, aber trotzdem weiter vor dem PC sitzt, die Zeit erst bemerkt, weil die Sonne aufgeht, wenn der PC gleich nach dem Aufstehen noch vor dem Frühstück aufgedreht wird und erst kurz vorm Schlafengehen abgedreht wird, oder sich sogar bereits körperliche Folgesymptome einstellen (typisch sind z.B. Zeichen der Schlafdeprivation wie hohe Nervosität oder Gereiztheit, höhere Infektionsanfälligkeit, nach längerer Zeit auch Durchblutungsstörungen in den Beinen, Wirbelsäulen-Beschwerden etc.), dann sollte man sich Gedanken machen, ob man z.B. einem Computerspiel in seinem Leben tatsächlich einen derart zentralen Stellenwert einräumen will, und falls nicht, nach Lösungen suchen.

  3. Entzugserscheinungen

    Laut Herrn Fellner berichten manche Klienten, dass Sie sich unwohl fühlen, wenn sie daran denken, mehrere Tage ohne Computer zu sein (z.B. während eines Urlaubes). Tritt diese Tatsache dann auch tatsächlich ein, kann nur durch eine Benutzung des Mediums wieder innere Ausgeglichenheit erlangt werden. Die heute gern genutzte Möglichkeit, Notebooks mit sich zu führen und auch an Urlaubsorten WLANs zu nutzen, kann die Selbstwahrnehmung in diesem Bereich allerdings verschleiern.

  4. Finanzielle und berufliche Aspekte

    In Extremfällen kann Onlinesucht sogar dazu führen, dass der Job verloren wird oder zumindest zu Problemen in diesem führt. Bei Freelancern, Studenten mit Nebenjobs, atypischen Selbständigen kann die Onlinesucht zu Einkommensverlust führen, wenn man unter Tags lieber online verbringt, statt der Erwerbstätigkeit nachzugehen.

  5. Fremdeinschätzung

    Herr Fellner betonte, dass die Fremdeinschätzung bei allen Indikatoren eine sehr wichtige Zusatzinformation darstellt, da die Betroffenen selbst sich das Problem häufig sehr lange gar nicht selbst eingestehen. Typisch ist z.B. lt. Fellner der Fall, dass etwa die Familie sich bereits über die Veränderung des Familienmitglieds einig ist, dieses aber nicht selbst die Veränderung wahrnimmt, bzw. das Argument bringt, dass alle Freunde schließlich auch dieses Spiel spielen / auf diesem Portal chatten etc..

 

 

Auch kann es einen Unterschied darstellen, ob man in einer Partnerschaft lebt, und dort, ob auch der Partner eine intensive Onlinenutzung aufweist - oder ob man in einem Singlehaushalt lebt. Auffällig ist aber zumeist die Reduktion der sozialen Kontakte in der realen Welt. "Wir sind keine virtuellen Wesen, sondern leben in einer realen, lebendigen und durch bestimmte physikalische und soziale Gesetzmäßigkeiten ausgezeichneten Umwelt - insofern ist für unsere seelische Gesundheit nicht die Länge unserer Chat-Kontaktliste relevant, sondern die Art und Weise, wie wir unser reales Leben meistern", sagt Fellner. "Wenn sich jemand im Grunde unbekannten Personen im Internet gegenüber leichter öffnet als vertrauten Mitmenschen im realen Umfeld, dann wäre es höchste Zeit, sich zu fragen: 'was tue ich da mit meinem Leben, wie lange soll das noch so weitergehen?'".

 

Herr Fellner sieht auch außerhalb des Bereiches der Spiele, Pornografie und Chats suchtbringende Aspekte des Internet und spricht hier insbesondere Entwicklungen des Web 2.0 an. Als Beispiel führte er MySpace.com an, wo in einem Fall der Gründer einer Musikband eine "Sucht nach dem eigenem Profil" aufwies, und in ständiger Sorge war, Nachrichten zu verpassen, sowie seine Seite im Ranking weiter nach oben zu bekommen.

 

Körperliche Veränderungen der Onlinesüchtigen

Herr Fellner führt an, dass zusätzlich zu den bereits oben genannten Sucht-Indikatoren auch Gewichtszunahme ein Aspekt ist, der häufig bei Onlinesüchtigen zu beobachten ist, da die Nahrung, welche zumeist ungesunder Natur ist, "nebenbei" am PC gegessen wird. Auch Vernachlässigung der eigenen Körperhygiene kann ein Symptom für gestörtes Onlineverhalten sein. Veränderungen wiederum fallen auch hier zumeist zuerst dem Umfeld auf, bevor diese selber wahrgenommen werden.

LAN Parties

Herr Fellner steht LAN-Parties durchaus positiv gegenüber, denn so lernen sich die Spieler wenigstens auch einmal persönlich kennen. Er sieht es als sehr wichtig an, dass wenn man schon den virtuellen gegenüber den realweltlichen Freunden den Vorzug gibt, es auch einen Austausch über das gemeinsame Hobby Spiel / Chat hinaus ergibt (z.B. Sport, Politik, Weltgeschehen,..), statt geistig komplett in die virtuelle Welt abzutauchen.

Lösungsansätze zur Onlinesucht?

Herr Fellner's Priorität liegt in der Wiedererlangung der Kontrolle über die Nutzung der Zeit vor dem PC. Neue Hobbies sollen gefunden werden - und zwar nicht, wie leider ohne psychologische Betreuung, ein neues, das süchtig macht.

Behandlungskosten der Onlinesucht?

Onlinesucht ist nicht explizit im aktuellen Diagnose-Schema ICD-10 beschrieben* und deswegen wird diese auch noch nicht von den österreichischen Krankenkassen anerkannt. Das ist natürlich eine erschreckende Tatsache. Den Kassen würde es allerdings laut Fellner sehr viele Vorteile bringen, Onlinesucht anzuerkennen, wenn man die Folgewirkungen dieses Problems auf die österreichische Volkswirtschaft und das Sozialsystem bedenkt. Statt dessen entsteht derzeit leider eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, weil nur jene, die es sich wirklich leisten können, eine Suchttherapie angehen können. Nur, weil häufig weitere Süchte, psychische Probleme oder körperliche Folgeerkrankungen mit der Onlinesucht einhergehen, ist es möglich, die Patienten (wenn sich diese selbst melden) "offiziell" z.B. aufgrund ihrer Depressionen etc. zu behandeln. Aber im Endeffekt verzerrt dies nur die Statistik und das Krankheitsschema. Außerdem fehlt es an Beratungs- und Anlaufstellen für Betroffene und deren Angehörige.

 

Abschließendes Stichwort "Killerspiele"

Der aktuelle Zustand einer Gesellschaft ist laut Herrn Fellner ausschlaggebend. Das Spiel macht den Spieler nicht zum Killer, respektive zum Süchtigen. Das persönliche Umfeld des Spielers ist zu analysieren: so sieht man in unserer Gesellschaft im TV täglich dutzende Morde, die Politik und Wirtschaft ist sehr "unsanft" und hat kaum Vorbildwirkung. Konflikte werden auch in der Politik häufig aggressiv oder gar nicht gelöst. Auch Computerspiele erzeugen allerdings Scheinrealitäten und es könnte zum Problem kommen, wenn eine Verflechtung zur realen Welt entsteht - ein gelegentlicher Computerspieler wird im realen Leben aufgrund des Spiels wohl kaum den Einsatz einer Waffe zur Lösung eines Problems erwägen. Anders mag dies bei Computerspielern aussehen, bei denen das Spiel zur alltäglichen und primären Lebensrealität geworden ist. Herr Fellner hat zu diesem Thema kürzlich einige Texte auf seiner Website veröffentlicht.

   

Beim Fall Sebastian B. war es so, dass sein Umfeld ein höchst problematisches war. Sebastian hatte schon einige Zeit lang um Hilfe gebeten, wurde aber von niemandem gehört - angeblich fiel keinem seiner engen Bekannten ein Problem auf. Für ihn war sein Verhalten wohl der letzte Ausweg, dem Spiel die "Schuld" dafür zuzuschieben, wäre aber bei weitem zu vereinfachend, so Fellner.

 

Herr Fellner merkte an, dass es meist schwierig ist, die Motivation der Spieler vom Spiel in andere Bereiche (z.B. Sport) zu lenken, da sich Spieler schließlich Erfolgserlebnisse verschaffen möchten, und diese innerhalb eines Computerspiels nun mal weitaus leichter zu erreichen seien als im "wirklichen" Leben.

(Das Interview führten T.Primus und A.Pfeiffer, IPOS, 03/2007)

* Ergänzung: im derzeit aktuellsten verfügbaren Diagnose-Manual, dem 2014 erschienenen DSM-5, findet sich Internet-Sucht leider ebenfalls nur im Anhang erwähnt und kann daher weiterhin nicht spezifisch diagnostiziert werden, sondern geht in der Diagnose-Gruppe "Sucht und verwandte Störungen" auf.

Richard L. Fellner, MSc., 1010 Wien

Richard L. Fellner, MSc., DSP

R.L.Fellner ist Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut und Paartherapeut in Wien.

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