Hypnose / Hypnotherapie in Wien (Bild: S. Migaj @Unsplash

Unterschiede, die einen Unterschied mach(t)en

Systemische Reflexionen zum psychosozialen Covid-"Aftermath"

Schon während meiner Jugend (das war vor über 40 Jahren 😊) begann ich, mich mit der Theorie des Konstruktivismus zu beschäftigen. Dass das Wissen und die Sinne des Menschen die Realität wenn überhaupt, dann nur teilweise abbilden können, prägte fortan meine Sicht auf das Leben. Doch der beschriebene Umstand erzeugt ein Spannungsfeld zwischen unserem Bedürfnis, mit anderen im Einklang zu sein und uns zu diesem Zweck auf intersubjektive „Realitäten“ zu einigen, andererseits aber auch anerkennen zu müssen, dass dies nur in Teilbereichen gelingen kann, ja wir sogar in unseren Köpfen selbst unterschiedliche Positionen und Sichtweisen zu managen haben (Bsp.: Ego-States und Gunther Schmidt’s Konzept „multipler Wesen“, unwillkürliche und willkürliche Prozesse usw.).

Der systemische Ansatz mit seinen Konzepten von Konstruktneutralität oder der im Kontakt mit unseren KlientInnen (hoffentlich ehrlichen) Neugier auf die „Realitäten“ anderer hat mir von daher immer schon gefallen und fühlte sich nützlich an. So fand ich es auch stets spannend und positiv, wenn mich KollegInnen auf „blinde Flecken“ aufmerksam machten oder mich zu Blickpunkten einluden, die neue Denkmöglichkeiten eröffneten.

Doch kurz nach dem Ausrufen der „Pandemie“ schien sich die Welt radikal zu ändern:
Plötzlich gab es nur noch 1 legitime Wahrheit, 1 Wirklichkeit, 1 Hypothese, 1 Lösungsansatz.

Besonders perplex war ich, als ich – im Ausland befindlich – mitverfolgen musste, was „Corona“ in unserem Berufsstand auslöste. Nein, ich meine damit nicht Erkrankungen oder Testergebnisse, sondern das Verhalten erheblicher Teile unserer Berufsgruppe. Auch in ihr dominierte, soweit ich ermessen konnte, Angst und Konformität. Einige KollegInnen verweigerten sich persönlichen Treffen oder forderten von KlientInnen (selbst in Zeiten ohne einschlägige regulatorische Auflagen) das Vorweisen digitaler Testzertifikate oder das Tragen von Gesichtsmasken. Stellte man Fragen oder hinterfragte gar das gängige Narrativ, dann machte man sich verdächtig, rechtsnationaler Gesinnung und „Wissenschaft®sleugner“ zu sein (was auch immer das bedeuten sollte). Zu fragen war also mit einem Mal nicht mehr erwünscht oder musste vorsichtig hinter vorgehaltener Hand stattfinden. Das spürten auch unsere KlientInnen.

Covid Hysteria Psychotherapy Psychology (c) Solari

Ich masse mir nicht an, darüber zu mutmaßen, wie ich mich selbst in der Atmosphäre verhalten hätte, die innerhalb weniger Monate vor allem in Deutschland und Österreich - diesen historisch berüchtigten Brutbecken von Totalitarismus und Massenbildung - entstanden war. Aus der Distanz war mir nach einem ersten Anfangsschreck jedoch recht rasch die Inkongruenz der diversen Narrative mit dem Stand der Wissenschaft vor Covid aufgefallen, und ich war fassungslos darüber, welches Ausmaß an unvermeidlichen psychischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgeschäden die agierenden PolitikerInnen bereit waren, mit den sogenannten „Maßnahmen“ zu verursachen. Es tat mir in der Seele weh, aus der Ferne mitanzusehen, wie Hetzreden und Hetzartikel gegen jene, deren „compliance“ zu wünschen übrig ließ, von weiten Teilen der Bevölkerung nicht nur akzeptiert, sondern sogar beklatscht wurden.

Wie löste ich in meiner Arbeit mit KlientInnen die praktischen Herausforderungen? Nun, die Physiognomie ist für mich essenzieller Teil psychotherapeutischer Arbeit – es war daher für mich selbstverständlich (nachdem ich das Erkrankungsrisiko für mich selbst eigenverantwortlich als tragbar entschieden hatte und im Ausland keine entsprechenden Regelungen existierten), auch meinen KlientInnen die selbstkompetente Entscheidungsmöglichkeit anzubieten, beidseits oder einseitig ohne Gesichtsmaske zu sprechen. Die überwiegend meisten bevorzugten - sichtbar erleichtert - den „beidseitig vollen Sichtkontakt“. So wurde für viele der Menschen, die 2020-2022 zu mir kamen, die Sitzungen auch zu einer Kommunikations-Oase, in der sie sich mit einer Fremdperson offen, direkt und ohne künstliche Distanz und „Mummenschanz“ austauschen konnten. Während einige Menschen nur des Austauschs wegen kamen und enorm unter Kontaktarmut litten, genossen andere (wie viele KollegInnen sicher bestätigen können) die Verlangsamung der Welt „draußen“ und die Entstressung durch höhere soziale Distanz oder gar soziale Isolation – wenn auch mitunter zu dem Preis einer Verstärkung ihrer Defizite.

Freiheit und Selbstbestimmung sind für mich essenzielle und sich einer „Diskussion“ entziehenden zivilisierten und mündigen Gesellschaft. Und zwar ausnahmslos, wohlgemerkt auch ohne „temporäre“ oder „aufgrund überlebenswichtiger Umstände nötiger“ Ausnahmen. Wie Carl Schmitt sagte: souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Oder Immanuel Kant: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“ (über die Verdrehung seiner Worte zur Rechtfertigung der Einschränkungen würde er sich wohl im Grabe umdrehen). Mit viel Blut und unzähligen Leben erkämpfte Fundamente der Neuzeit, wie die Menschenrechte oder die sog. „Grundrechte“ wurden ja nicht für den Normalzustand geschaffen, sondern explizit für die Zeit von Krisen und Unsicherheit. Wer sie in Frage stellt oder gar spezifischen Gruppen von Menschen entziehen möchte – und sei es auch nur „temporär“, „umständehalber“ – entpuppt sich als im Kern autoritär.

An sich war ja schon seit Jahrzehnten dank den Forschungen von Stanley Milgram oder Denkern wie Arno Gruen oder Hannah Arendt klar gewesen: ca. 3/4 der Menschen können sich totalitären Strömungen nicht dauerhaft entziehen und werden zu passiven oder aktiven Mittätern, und dieses bemerkenswerterweise weitgehend unabhängig von Bildung, finanziellem Status oder Beruf. Dass der Anteil aber auch in Berufsständen wie jenen der PsychotherapeutInnen, PsychologInnen und PsychiaterInnen so hoch ist (die es eigentlich doch besser wissen müssten?), war für mich doch etwas schockierend, und machte „einen Unterschied“.

Was gab es noch für „Unterschiede, die einen Unterschied machten“:

  • Unterschiede zwischen der behaupteten und der realen Gefährlichkeit von Corona
  • Unterschiede zwischen der behaupteten und der realen Nützlichkeit der „Maßnahmen“
  • Unterschiede zwischen der früheren und der heutigen Definition von „Impfungen“
  • Unterschiede zwischen der behaupteten und der realen Sicherheit und Effektivität der von der Politik vorangetriebenen Corona-Behandlungen
  • Unterschiede zwischen der behaupteten und der realen Sicherheit und Effektivität diverser „alternativer“ Behandlungsformen
  • Unterschiede in der Maßnahmen-Härte Kindern, Jugendlichen und in Institutionen lebenden alten Menschen der Restbevölkerung gegenüber
  • Unterschiede in der Freiheit bezüglich der Einhaltung der Regeln zwischen der Politiker-Kaste und der Bevölkerung
  • u.e.m.

Unterschiede zwischen zweifellos intelligenten Menschen machen für mich seit diesen Erfahrungen mehr als je zuvor ihre Fähigkeit zu eigenständigem, neugierigem Denken, und ihre Bereitschaft, für humanistische Grundprinzipien selbst dann einzustehen, wenn sie selbst Angst haben oder gegen den Zeitgeist argumentieren müssten.

Es war mangelndes Wissen in variabler Kombination mit Rationalisierung, Verdrängung, mangelnder Empathiefähigkeit, sozialem Akzeptanzbedürfnis und Blauäugigkeit von Menschen, das geschichtliche Horrorszenarien erlaubt hatte. Während der prätotalitären „Corona“-Phase habe ich erlebt, dass sich die diesbezügliche Bruchlinie quer durch alle Bevölkerungsschichten zog. In finanziellem Wohlstand und großer Sicherheit lebende Menschen schienen jedoch besonders anfällig für radikales, autoritäres Gedankengut zu sein. Warum? Nun, als Hypothesen könnte man erwägen, dass sie mehr zu verlieren haben, häufig im staatlichen Einflußbereich arbeiten, und vielleicht auch ein angesichts der Geschichte zumindest fragwürdiges Grundvertrauen staatlichen Institutionen gegenüber aufweisen (vgl. Mises, „Anatomie des Staates“).

Ich habe renommierte Therapeuten-KollegInnen erlebt, die sichtlich verängstigt bis zuletzt maskiert herumliefen und Menschen, die auch nur auf Probleme rund um die „Maßnahmen“ hinwiesen, als „Verschwörungstheoretiker“ oder Kriegsskeptiker als „Putin-Sympathisanten“ abwerteten. Interessanterweise erlebte ich aber auch, dass viele sogenannte „einfachere“ Leute oder solche mit Biografien jenseits des einstigen „eisernen Vorhangs“ von Beginn an den Maßnahmen gegenüber skeptisch waren und versuchten, sich ihnen zu entziehen. Soweit ich beurteilen konnte nicht deshalb, weil sie sie nicht „verstanden“ hatten, sondern weil sie Ideen, wenn sie von „Autoritäten“ stammen, nicht automatisch ernster nehmen als andere.

Unterschiede hatte es für mich auch gemacht, dass ich seit Jahrzehnten zäh gegen das ungünstigerweise unbewußt verankerte Bedürfnis ankämpfe, „Heilige“ oder „Vorbilder“ zu suchen. Genauso, wie auf Seiten jener, deren Positionen ich ablehnte, gelegentlich auch Erwägenswertes zu hören war, gab es auch auf Seiten der (in Skeptiker-Kreisen teils zu Lichtgestalten oder Hoffnungsträgern erhobenen) Mahner und Kritiker mitunter Unsinn oder Fragwürdiges. Und, rational betrachtet: wäre etwas anderes zu erwarten?

Mit offenem Geist zu hören bedeutet, die Hülle (Name, Erscheinungsbild, politische Verortung u.dgl.) einer Person, eines Mediums oder einer Organisation in den Hintergrund zu stellen und genau auf den Inhalt einer Botschaft zu hören: was bedeutet es, was ich da höre? Was sagt es aus und wo könnte es ultimativ hinführen?

Um mich nicht dem Vorwurf von Beliebigkeit auszusetzen: Was waren insofern jedoch Stimmen, die ich in weiten Teilen sehr wohl als „Unterschied machend“, als Licht im Dunkel empfand? Aufgrund ihres psychologischen u./o. therapeutischen Hintergrundes möchte ich hier folgende Personen nennen:

Analytiker des Massenphänomens „Corona“ wie
- Dr. Rainer Mausfeld (Prof. für Psychologie, Universität Kiel, zahlreiche Arbeiten und Vorträge über Massenpsychologie und Techniken der Tiefenindoktrination)
- Dr. Hans-Joachim Maaz (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, 1980–2008 Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Diakoniewerk Halle)
- Dr. Raphael Bonelli (Psychiater, Neurowissenschaftler und systemischer Psychotherapeut in Wien)
- Dr. Mattias Desmet (Prof. für Klinische Psychologie, Universität Gent, Arbeiten über Totalitarismus)
- sowie engagierte Journalisten und Denker wie Gunnar Kaiser, Clemens Arvay, Robert Cibis
- und tausende Personen aus dem Gesundheitssektor (inklusive dem der Psychotherapie), die sich sukzessive in privaten Intiativen vernetzten, ihre Erfahrungen austauschten und PatientInnen und KlientInnen Angebote machten, die mit den Regelungen nicht klarkamen oder an Folgeerscheinungen litten.

Ich durfte also während der letzten 3 Jahre auch zahlreiche sehr mutige und engagierte KollegInnen kennenlernen, und bin ein leidenschaftlicher Verfechter der Bestrebungen, die Jahre 2020-2022 „aufzuarbeiten“: rechtlich, psychologisch und politisch. Mitunter lese ich, dass dies doch nicht nötig sei oder es doch schon Diskussionen gebe. Doch über den Rahmen und die etwaige Beendigung von „Aufarbeitung“ haben die Opfer zu bestimmen, nicht politische oder mediale Kommentatoren oder gar die mutmaßlichen Täter.

Und trotz vieler positiver Begegnungen fände ich mehr systemische Beforschung des Geschehenen begrüßenswert. Die „Pandemie“ war unter vielem anderem nämlich auch eine Fundgrube für ForscherInnen in den Bereichen Massenpsychologie, Kommunikations- und Marketingpsychologie, Angstresilienz u.dgl., nebst erforderlicher Analysen all der psychischen Schäden und Dekonstruktionen, die während dieser Jahre verusacht wurden. Ich bin sicher, vielen von Ihnen ist ebenso wie mir selbst aufgefallen, wie viele Menschen während dieser Zeit Brüche in ihren Biografien erfuhren. Für unsere Zukunft als TherapeutInnen, für unsere KlientInnen, ja für uns als Bürgerinnen und Bürger könnte diese Form der Aufarbeitung einen großen Unterschied machen.

Cartoon: Solari (2022)

Richard L. Fellner, MSc., 1010 Wien

Richard L. Fellner, MSc., DSP

R.L.Fellner ist Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut und Paartherapeut in Wien.

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