Dec 05

(Image source: The Tribune India)

Diabetiker, haben langfristig weniger gesundheitliche Schäden und psychische Probleme – und damit eine höhere Lebenserwartung, wenn sie sich besser zu entspannen und den psychischen Umgang mit ihrer Erkrankung erlernen. Dies fand die kürzlich im Magazin “Diabetes Care” veröffentlichte Heidelberger Diabetes und Stress-Studie (HeiDis) heraus, die erste kontrollierte klinische Studie, die den Effekt von Stressreduktion auf Diabetiker untersucht. Nach einer Studiendauer von 1 Jahr wurden die Ergebnisse veröffentlicht, denen zufolge die Teilnehmer an einer 8-wöchigen, fachlich geleiteten Anti-Stress-Gruppentherapie mit wöchentlichem Übungsprogramm (z.B. Meditation, Atemübungen, Reflexion und Umgang mit krankheitsbedingten Stressituationen etc.) nach einem Jahr weniger depressiv und körperlich fitter waren und einen niedrigeren Blutdruck aufwiesen. Ihre Eiweiß-Ausscheidung (diese nimmt mit nachlassender Nierenfunktion zu) war zwar unverändert – bei der unbehandelten Kontrollgruppe jedoch hatte sich diese weiter verschlechtert.

Die leitenden Ärzte weisen zwar darauf hin, dass noch genauere Ursachenforschung erforderlich ist, betonen aber ihre Zuversicht, dass mittels der regelmäßigen stressreduzierenden Therapiemassnahmen die psychische Situation der zuckerkranken Patienten verbessert werden kann.

An der Studie nahmen 110 Diabetiker und Diabetikerinnen teil, wobei vor allem solche Patienten rekrutiert wurden, die bereits seit Jahren an Diabetes litten und ein hohes Risiko für Komplikationen hatten. Diese Patientengruppe hat besonders häufig Depressionen und Ängste, da sie ihre Erkrankung als einschränkend und bedrohlich erlebt. Zusätzliche Gesundheitsprobleme durch Gefäßschäden, z.B. an Herz und Augen, sind bei ihr ebenfalls häufig. Die Idee zur Studie beruhte auf der Beobachtung, dass Personen, welche an psychischen Problemen leiden, erhöhte Stresslevel aufweisen, die wiederum das Schlüsselmolekül aktivieren (den sogenannten Transkriptionsfaktor NF-kappaB) das Entzündungen und Abbauprozesse auslöst. Als nächstes wird die Umkehrhypothese getestet: ob nämlich weniger Stress und weniger psychische Probleme gesundheitliche Schäden verhindern kann. Allerdings existieren schon eine ganze Reihe von Studien, die ebendies nachweisen, wie regelmäßigen LeserInnen des Psychotherapie-Blogs nicht entgangen sein wird.

Die Teilnehmer bewerteten ihre Therapie überwiegend als positiv; ihre Lebenseinstellung zu der Erkrankung habe sich geändert, sie wollten nun insgesamt bewusster und aufmerksamer leben. Jeder zweite Teilnehmer war an einer Fortsetzung der Therapie interessiert.

Diabetes Care vol. 35 no. 5 945-947 (doi: 10.2337/dc11-1343), MedAustria)

Jan 17

Lange Zeit galt das Hirn eines Erwachsenen als starr festgelegtes, fix verdrahtetes Organ. Modernste wissenschaftliche Erkenntnisse jedoch zeigen das Gegenteil, und beweisen damit nicht nur etwas, das Buddhisten schon immer wussten, sondern illustrieren nebenbei auch, warum Psychotherapie “funktioniert” und dass viele unserer kleinen und größeren Schwächen stärker veränderbar sind, als wir das zu hoffen wagten.

Eine der faszinierendsten Forschungsbereiche der Neurobiologie ist jene zur so genannten “Neuroplastizität” oder “neuronalen Plastizität“. Darunter versteht man die Eigenschaft von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen, sich in Abhängigkeit von der Verwendung in ihren Eigenschaften zu verändern. Je nach betrachtetem System spricht man auch von synaptischer Plastizität oder kortikaler Plastizität. Die Grundlagen für diese Entdeckung der Anpassungsfähigkeit des Gehirns und von Nervenzellen bildete die Forschungsarbeit des Psychologen Donald Olding Hebb.

Forscher an der Universität Zürich wiesen beispielsweise nach, dass sich bei jemandem, der nach einem rechten Oberarmbruch nur noch die linke Hand benutzt, bereits nach 16 Tagen markante anatomische Veränderungen in bestimmten Hirngebieten zeigen: die Dicke der linksseitigen Hirnareale wird reduziert, hingegen vergrößern sich die rechtsseitigen Areale, die die Verletzung kompensieren. Auch die Feinmotorik der kompensierenden Hand verbessert sich deutlich.

Andere einfache, aber in ihren Resultaten erstaunliche Tests bestätigen, dass schon die bloße Vorstellung Hirnreale vergrößern lässt: Der Hirnforscher Pascual-Leone etwa ließ Freiwillige ein simples Klavierstück üben und untersuchte anschließend die entsprechend motorischen Regionen im Hirn der Probanden. Der Bereich, welcher für die Steuerung der Fingerbewegungen verantwortlich ist, vergrößerte sich. In gewissem Sinne stimmt also der bei Lehrern beliebte Vergleich mit dem Gehirn als Muskel: werden bestimmte Areale durch steten Gebrauch stärker genutzt, entwickeln sich diese offenbar stärker – unsere Fähigkeiten und die speicherbare Information nehmen zu.

In einem anderen Experiment sollten sich Versuchspersonen nur im Geiste vorstellen, das Klavierstück zu spielen. Die erstaunliche Erkenntnis: hier veränderten sich genau die gleichen Hirnreale wie bei den tatsächlich Übenden. Allein mit dem Denken oder mit Hilfe geistigen Trainings können also offenbar physiologische Veränderungen des Gehirns durch Veränderungen der beteiligten neuronalen Schaltkreise bewirkt werden.
Verblüffend ist auch die Geschichte des Malers Esref Armagan, der von Geburt an blind ist. Trotzdem ist er fähig, realistische Bilder von Gebäuden und Landschaften zu erschaffen, die er nur aus Beschreibungen kennt. Obwohl sein Sehareal nie einen externen visuellen Reiz empfing, ist der zugeordnete Hirnbereich so aktiv wie bei einem Sehenden: allein durch die Beschreibungen der Objekte, welche er auf Papier bringt, erkennt sein Gehirn also mentale Bilder.

Die blosse Vorstellungskraft bewirkt folglich Enormes, und wir kennen ähnliche Effekte auch aus der Psychotherapie. Bei dieser werden letzlich in der therapeutischen Praxis neue Verhaltensweisen und Denkkonzepte “ausprobiert” – und können zunehmend auch im Leben “draussen” umgesetzt werden. Stück für Stück werden alte und hinderliche Denkkonzepte in solche umgewandelt, die uns zufriedener, selbstsicherer und hinsichtlich der Erreichung unserer ganz persönlichen Ziele und Bedürfnisse “erfolgreicher” machen. Dies erklärt, warum Psychotherapie sogar bei schweren psychischen Erkrankungen und neurologischen Störungen unterstützende Effekte erzielen kann.

In der Meditation erfahrenen Buddhisten ist all dies ohnehin nicht neu: ist man imstande, sich lange Zeit auf nur einen Gedanken zu konzentrieren, können auch negative Gedanken gezielt überwunden werden können. Werden jene Gedanken überwunden, die einen bestimmten psychischen Leidenszustand hervorrufen, kann über die Funktion der Neuroplastizität eine physiologische Änderung jener Schaltkreise im Gehirn bewirkt werden, die diese negativen Gedanken laufend hervorriefen. Was also in der Psychotherapie durch externe und professionelle Begleitung erreicht wird, erreichen buddhistische Mönche durch jahrelange Meditationspraxis auch alleine.

Dokumentiert sind heilende Effekte der Neuroplastizität auch nach Schlaganfällen, in der Schmerzbehandlung, beim Autismus, bei Lähmungserscheinungen, Lernschwierigkeiten, bei Phantomschmerzen und vielen mehr (viele davon sind im unten erwähnten Video und in der Literaturliste detailliert vorgestellt). Die Neuroplastizität scheint ein Evolutionsfaktor zu sein, mittels dessen sich Menschen den Anforderungen der Umwelt sukzessive anpassen können.

Link-Tipps:
Der Wille, die Neurobiologie und die Psychotherapie von Hilarion G. Petzold (Hrsg.) und Johanna Sieper (Hrsg.)
Neustart im Kopf von Norman Doidge
Neue Gedanken – Neues Gehirn von Sharon Begley
weitere Bücher zum Thema Neurobiologie

Videos:
Neustart im Kopf – TV-Dokumentation; der kanadische Psychiater und Psychoanalytiker Norman Doidge schildert sehr anschaulich die Erforschung der Anpassungsfähigkeit des menschlichen Gehirns.
NeuroplasticityTraumata, Kultureinflüsse, aber auch Jonglieren verändert das Gehirn
Norman Doidge – The Brain that Changes – (Vortrag; am Rande: über Psychoanalyse als erster Ansatz, das Denken gezielt zu verändern)

(Quellen: N. Langer et.al, Effects of limb immobilization on brain plasticity in: Neurology, Jan 17, 2012; Image sources: psychofonie.ch, persoenlichkeits-blog.de)
Hinweis: dieser Blog-Eintrag wird laufend aktualisiert; Erstveröffentlichung: 08/2010; letztes Update: 18.12.2015
Images: Mihalov

01.09.19