Politische Einstellungen basieren auf freien Entscheidungen und jeder sollte die Freiheit haben, zu seinen Überzeugungen zu stehen – das stellt einen Grundpfeiler der westlichen Demokratien dar. Doch jüngste Untersuchungen zeigen, dass diese Freiheit tatsächlich vielleicht nicht so groß ist, wie wir das bisher annahmen, da viele dieser Einstellungen im Hirn “fest verdrahtet” und z.T. auch genetisch prädeterminiert sein dürften – und dass die politische Einstellung darüber hinaus auch Rückschlüsse auf spezifische, strukturelle Persönlichkeitsanteile zulässt.
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Gehirne von Menschen mit konservativen Ansichten häufig eine größere Amygdala (ein mandelförmiger Bereich im Zentrum des Gehirns) haben – ein Hirnbereich, der häufig mit “primitiven” Reflexemotionen wie Angst und Emotionen assoziiert ist. Darüber hinaus haben sie häufig auch eine kleineres sog. anteriores Cingulum, eine Region im vorderen Hirnbereich, die wichtig für die Entwicklung von Mut und Optimismus ist und bei Störungen mit Depressionen und neurotischen Verhaltensmustern in Verbindung gebracht wird.
Gelingt es, diese Ergebnisse wissenschaftlich abzusichern, könnten sie eine medizinische Erklärung dafür bieten, warum konservative Wähler eher empfänglich für terroristische Bedrohungen sind als zum Beispiel Liberale. Und es würde dabei helfen, zu erklären, warum die Konservative eher auf der Grundlage von Worst-Case-Szenarien planen möchten, während die Liberalen eher zu rosigen Aussichten neigen.
Geraint Rees, Leiter des UCL Institute of Cognitive Neuroscience in London, wurde ursprünglich halb im Scherz eingeladen, für eine Episode der “BBC 4 Today” Show die Unterschiede zwischen liberalen und konservativen Köpfen zu studieren. Nach dem Studium von 90 UCL-Studenten und zwei britischen Parlamentariern konnte der Neurologe, einigermaßen schockiert, eine klare Korrelation zwischen der Größe der erwähnten Hirnregionen und politischen Ansichten entdecken. Er warnt jedoch, dass es auf der Basis des bisherigen Standes der Untersuchungen, bei denen nur die Gehirne von Erwachsenen untersucht wurden, noch keine Möglichkeit gäbe, zu sagen, was zuerst da war – die hirnorganischen Unterschiede oder die politischen Meinungen. Doch es scheint nicht weit gegriffen, dass die politischen Grundeinstellungen einer Person bald schon durch Gehirn-Scans – oder auch DNA-Tests ermittelt werden könnten.
Denn Untersuchungen an den Universitäten University of California, Harvard and UC-San Diego zeigten, dass eine Variante des Neurotransmitters DRD4 Menschen scheinbar zu liberalen Einstellungen prädisponiert, jedoch nur, wenn sie auch ein aktives soziales Leben als Jugendliche hatten. Träger des “liberalen Gens” haben auch eher den Wunsch, neue Dinge auszuprobieren sowie weitere, gemeinhin mit liberalen Einstellungen verbundene Persönlichkeitsmerkmale.
Sind Rassisten dumm?
Damit aber noch nicht genug. Weitere Untersuchungsergebnisse lassen vermuten, dass ein niedriger IQ (Intelligenzquotient) eine der Ursachen für rassistische Vorurteile und sozial-konservative politische Einstellungen sein könnte. Die zugrundeliegende im Jahre 2012 veröffentlichte Studie, (durchgeführt von der Brock University in Ontario und geleitet von Gordon Hodson) besagt, dass Kinder mit vergleichsweise geringerer Intelligenz im Erwachsenenalter eher konservative Überzeugungen und Vorurteile entwickeln als Kinder mit vergleichsweise höherer Intelligenz. Erklärt wird dies damit, dass diese Menschen mehr Angst vor Veränderungen haben. Sie streben also nach dem Gefühl von Sicherheit – konservative Ideologien aber beinhalten mehr Struktur, befürworten gesellschaftliche “Ordnung” und fördern hierarchische Systeme. All dies und ihr Widerstand gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen macht es für Konservative ebenfalls leichter, mit einer komplizierten und komplexen Welt umzugehen. Gleichzeitig fördern solche Grundeinstellungen aber auch Vorurteile.
Hudson warnt jedoch, in den aktuellen Stand der Untersuchungen allzu viel hineinzuinterpretieren: zum einen ist das Konzept der IQ-Tests unter Psychologen nicht gerade unumstritten, zum anderen ist die Entwicklung von Vorurteilen zu komplex, um einfach nur mit Unterschieden der Intelligenz erklärt zu werden.
Lediglich der Zusammenhang, dass auf Menschen, die stärker zu Angst vor Veränderungen neigen, reaktionäre Positionen positiv und anziehend wirken, sei als abgesichert zu betrachten.
Allerdings kommen auch andere Forscher zu vergleichbaren Ergebnissen. So betrug gemäß einer im Jahre 2010 von Satoshi Kanazawa auf Basis der IQ-Ergebnisse aus der “Add Health”-Umfrage analysierten Ergebnisse der Durchschnitts-IQ von Erwachsenen, die sich als “sehr liberal” beschrieben, 106 Punkte, während solche, die sich als “sehr konservativ” bezeichneten, durchschnittlich nur 95 IQ-Punkte erreichten.
Eine weitere Studie von L. Stankov aus dem Jahre 2009 wiederum stellte fest, dass unter Studenten an US-Universitäten konservative Grundeinstellungen negativ mit SAT (“Scholastic Aptitude Test”, ein standardisierter Test für die Aufnahme an US-Colleges)-Scores, dem Wortschatz und Analogietest-Ergebnissen korrelierten. Eine noch größere Korrelation wurde hierbei allerdings hinsichtlich wirtschaftlicher Unterschiede gefunden.
Provokant formuliert: könnte der britische Philosoph John Stuart Mill mit seinem Ausspruch “Conservatives are not necessarily stupid, but most stupid people are conservatives” gar nicht so unrecht gehabt haben?
Wettbüros finden sich in ‘bestimmten’ Bezirken mittlerweile in jedem Wohnblock. (Bild: initiative-bundesplatz.de
Laut Statistik der Spielsuchthilfe, der ältesten Spieler-Betreuungseinrichtung in Österreich, hat jeder dritte Spielsüchtige vor seinem 19. Geburtstag zu spielen begonnen, und die Zahl der Jugendlichen, die ihr Geld am Glückspielautomaten verspielen, nimmt ständig zu. Bereits 15.700 Automaten stehen in Österreich, die als “Kleines Glücksspiel” vom staatlichen Glücksspielmonopol ausgenommen sind, in der Bundeshauptstadt rund 3.500 davon. In den traditionellen Einwandererbezirken der Hauptstadt sammeln die meisten Teenager besonders früh Erfahrung mit Glücksspiel.
Nicht besonders hilfreich bei der Lösung des Problems ist die enge Vernetzung der Politik mit dem Glücksspiel in Österreich: so finden sich auch prominente Ex-Politiker im Management der Firma Novomatic, und die Regierungen kassieren kräftig mit an der Verarmung spielsüchtiger BürgerInnen: die Stadt Wien beispielsweise nimmt jährlich rund 55 Millionen Euro an Steuereinnahmen aus dem kleinen Glücksspiel ein.
Nur in Wien, Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten ist das “Kleine Glücksspiel” derzeit erlaubt. Die Bundesregierung arbeitet seit mehr als einem Jahr an einer Gesetzesnovelle, die es auch in den übrigen Bundesländern legal machen würde.
Im Diskussionforum meiner Website wurde von einer Userin dieser Tage eine Frage aufgeworfen, die ich sehr interessant fand: kann ein Fachmann (Psychiater/Psychologe/..) einen Amokläufer tatsächlich schon “vorzeitig” erkennen?
Ich schicke voraus, daß ich ja nur ein “einfacher, kleiner Psychotherapeut” 😉 bin, und nicht so hochdekoriert wie mancher der Proponenten, die derartiges fordern. Als solcher aber bezweifle ich die Sinnhaftigkeit dieser Vorschläge, und zwar aus vielerlei Gründen.
Prinzipiell waren fast alle GewalttäterInnen, vor allem solche, die erweiterten Suizid, Amokläufe etc. begingen, schon vor ihrer Tat in einer bestimmten Weise “auffällig” – in Schlüsselsituationen, also z.B. im Umgang mit Behörden, Nachbarn etc. aber wird der hohe innere Druck meist exzellent kompensiert bzw. kaschiert. Fast alle betr. TäterInnen hatten vor der Tat auch Kontakt zu Behörden, Psychologen, dem Jugendamt usw. Haben diese also an sich sichtbare “Warnzeichen” übersehen oder sogar ignoriert? Warum sollten sie sie mit “Frühwarnsystem” plötzlich besser wahrnehmen oder ernster nehmen?
Darüber hinaus ergibt sich auch noch ein indirektes Problem – wenn jeder Bürger, jede Bürgerin eine potenzielle Gewalttäterin ist, dann “macht das etwas” mit uns… es entfremdet, macht Angst, man mißtraut anderen mehr ebenso, wie andere einem vielleicht selbst mehr mißtrauen. Und das, obwohl so ein Frühwarnsystem letztlich nicht viel mehr als eine weitere der vielen Maßnahmen unserer heutigen Politik wäre, die in erster Linie nur ein subjektives Gefühl von Sicherheit bzw. “es wird etwas getan” vermitteln würden, denn tatsächlich mehr reale Sicherheit zu garantieren. Eines immanentes Problem des Lebens, nämlich daß man “vorzeitig” sterben kann – etwa wenn Dritte durchdrehen, einen in einen Unfall verwickeln oder man auf einem Abhang ausrutscht und zu Tode stürzt – wird vermutlich auch in 100 Jahren und bei 1000 zusätzlichen Gesetzen und Regeln nicht gelöst sein.
Alles in allem handelt es sich meiner bescheidenen Ansicht nach bei den konkreten Vorschlägen aber um das Applizieren von Fachsprech-Pampe auf ein massives und wachsendes strukturelles Problem in unserer Gesellschaft, dessen Wurzeln und Zusammenhänge von all diesem Gerede oder auch einem pauschalen Verbot sogenannter “Gewalt-Videospiele” überhaupt nicht tangiert werden. Was bleibt, ist der Eindruck, daß hier einige Personen die Publicity, die die aktuellen Gewalttaten bringen, dazu nutzen, um sich selbst ins Rampenlicht zu stellen oder neue Koordinatorenjobs an Land zu ziehen.
All dies vorausgeschickt, möchte ich jedoch hervorstreichen, daß ich Prävention und “Hochsensibilität” in der Exekutive, dem Sozialbereich usw., und ggf. frühzeitige Unterstützungsmaßnahmen bei der Aufdeckung von Gewalt, Mißbrauch etc. für in höchstem Maße wichtig halte. Dazu würde aber das vorhandene Wissen an sich ausreichen, es muß nur auch genutzt und die erforderlichen Maßnahmen auch von der öffentlichen Hand unterstützt werden. In beiden Bereichen – der Wahrnehmung durch Außenstehende und effizienter Prävention und Therapie für das gesamte betroffene soziale System – existieren aber heute erhebliche Lücken, und diese werden leider immer größer, statt geschlossen zu werden.
Ein sogenanntes “Frühwarnsystem” – das womöglich auch noch komplett an sog. “Experten” ausgelagert wird – würde diese Entwicklung aber vermutlich noch verschlimmern, statt die Sozialkompetenz und soziale Nähe innerhalb der Bevölkerung zu verbessern.
Mehr zum Thema “Verfolgung/Untersuchung auf Verdacht”:
EU-Gesetzesvorschläge: schon Annäherungsversuche via Internet (“Grooming”) sollen als Straftat gelten und Sex-Tourismus pauschal strafrechtlich verfolgt werden: http://derstandard.at/?url=/?id=1233586525171
Österreich: schon wer im Internet “wissentlich auf eine pornographische Darstellung Minderjähriger zugreift”, macht sich zukünftig strafrechtlich schuldig, einschlägige Straftäter werden in einer Datenbank erfasst und können z.B. mit Verboten belegt werden, bestimmte Orte zu betreten, aus ihrer Wohnung verwiesen werden u.dgl.: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29924/1.html
20.01.2009: Barack Obama’s Amtseinführung. Ich erhalte die Anfrage einer Redakteurin, welche durch Obama’s Wahlspruch “Yes We Can!” zu einer Story über Selbstbewußtsein und positives Denken inspiriert wurde. Könnte ich dazu ein paar Gedanken beitragen?
Nicht, daß mir gerade heute langweilig gewesen wäre – aber ich hatte mir schon öfters zu Obama’s Wirkung auf die Menschen Gedanken gemacht (auch hier im Blog) und war gerne bereit, diese bei Gelegenheit in die Tasten zu klopfen:
Barack Obama’s Wahlslogan “Yes We Can!” war zweifellos ein genialer Wurf seines Teams. Jedes Wortelement des Slogans ist “stark” im Sinne einer Ermutigung und Hervorhebung des Wertes jedes Einzelnen, der/die sich der Wahlbewegung anschließt.
“Yes!” – ein erleichterndes, positives “JA” statt dem jahrelangen, negativen “Nein”, in dem vor allem die Gefahren, die auf die Menschen lauern, und die Feindlichkeit einzelner Facetten des Lebens beschworen wurden. Diese waren dann durch den jeweiligen “War against XY” zu bekämpfen. Selbstsichere Menschen sagen “Ja” zum Leben und versuchen, Probleme zu lösen, statt die Schuld für die Umstände ausschließlich bei anderen zu suchen.
“We!” – auch wenn dies viele Menschen auf der Suche nach mehr Selbstbewußtsein mißverstehen: Selbstbewußtsein ist nicht mit Egomanie zu verwechseln, und schon gar kein Selbstzweck. Wir sind durch Jahrhunderttausende als soziale Wesen ‘programmiert’, Einzelgänger sind meist nicht dauerhaft glücklich und haben eine Tendenz, in eher skurille Weltbilder abzudriften. Obama’s Team beschwor das Gemeinsame – gemeinsam erreicht man mehr als allein, große und schwierige Projekte sind überhaupt nur so zu bewältigen. Schön fand ich, wie liebevoll und offen diese Familie augenscheinlich miteinander umgeht, und sich Obama selbst in den heißesten Wahlkampfphasen immer wieder Zeit für das “We!” rund um die eigene Familie nahm.
“Can!” – ein ganz wesentlicher Bestandteil eines positiven Lebensgefühls ist die Erfahrung, etwas Sinnvolles bewirken oder etwas an einem Mißstand verändern zu können. Selbst kleinste Aufgaben ermöglichen es uns, am Glücksgefühl über das Gelungene teilzuhaben. Es war rührend, in TV-Dokumentationen sogar an Obama-Plakaten mitbastelnde Kleinkinder, Alte, geistig Behinderte usw. zu sehen – aber in ihrer aller Augen leuchtete dieses “Can!”-Gefühl. Und – sie haben es tatsächlich geschafft!
Ich bin zu sehr Realist, um zu glauben, daß positives Denken diesen Erfolg bewirkt hat – ermöglicht hat er ihn aber definitiv. Dieses Potenzial “positiven Denkens” aber sollte uns auch – bei aller kritischen Selbstreflexion – im ganz normalen Alltag ermutigen, die Herausforderungen des Lebens letztlich dennoch auf möglichst positive Weise anzunehmen.
Ich meine, daß es eine der großen Leistungen von Barack Obama und seinem Team war, den Amerikanern, aber auch vielen Bürgern in aller Welt wieder ein Gefühl von Selbstwert zu geben – das Gefühl, daß die eigene Rolle gerade auch in einer immer stärker regulierten und entfremdenden Welt eine wichtige ist und es – nicht nur bei der Wahl! – auf jede einzelne erhobene Stimme ankommt. Denn man kann noch so selbstbewußt sein, noch so positiv denken: das größte Glücksgefühl stellt sich ein, wenn auch andere etwas von der eigenen positiven Energie haben…
Inwieweit die beworbene Botschaft auch tatsächlich der Politik Obamas entsprechen wird, wird die Zukunft zeigen.
Wer während der letzten Wochen die diversen Pressemeldungen verfolgte, konnte ein bemerkenswertes Bild über unseren gesellschaftlichen Zugang zu den “Umtrieben” heutiger Kinder und Jugendlicher bekommen: da wurde von einem oberösterreichischen Schuldirektor den SchülerInnen etwa das öffentliche Küssen untersagt (nach vehementen öffentlichen Protesten ist das Verbot mittlerweile wieder aufgehoben), angeblich werden Jugendliche immer dümmer (Computer und Fernsehen seien schuld), wir erinnern uns an die Debatte um bauchfreie T-Shirts vor 2 Jahren, seit vielen Jahren deuten einschlägige Studien in England aber vor allem auch auf steigende Angst der Öffentlichkeit vor Kindern und Jugendlichen hin: mehr Respekt wird da gefordert, und die Kategorie des “antisozialen Verhaltens” wurde geschaffen, um Jugendliche entsprechend mit ASBO’s (Anti-Social Behavior Orders) und einschlägigen Medikamenten zu disziplinieren. Mittlerweile bilden sich bereits Gruppierungen, die gegen diesen Trend zu mobilisieren versuchen, denn Überwachen und Strafen lösen – wie auch in anderen Lebensbereichen – die zugrundeliegenden Probleme nicht.
Alarmierend ist die Verständnislosigkeit und Kälte, mit der der jungen Generation (wie man so schön sagt: unseren [hoffentlich!] “Pensionszahlern von morgen”) begegnet wird. Politik wird in erster Linie für die Erwachsenen und Pensionisten gemacht, an der Jugend besteht kaum ein anderes Interesse, als dass diese zu “funktionieren”, sich in das gesellschaftliche Gefüge einzuordnen habe. Das Bestehende wird verwaltet, Zukunftsdenken oder gar Visionen sind eher die Ausnahme als die Regel. Da ist es dann kein Wunder, wenn Klassengrößen trotz steigender sozialer Probleme und zunehmendem Integrationsbedarf immer größer werden und Lehrer immer mehr Erziehungsaufgaben zu übernehmen haben, gleichzeitig aber ihre Fortbildungsbudgets, sowie jene für Beratungsstellen und Psychotherapie schon seit Jahrzehnten ausgedünnt werden. Auch Eltern schaffen kaum den Spagat, ihre Karriereziele mit den Bedürfnissen ihrer Kinder nach Zuwendung zu vereinbaren.
Wie das Schicksal so spielt: während ich diese Zeilen schrieb, wurde eine Pressemitteilung der österr. Bildungsministerin Claudia Schmied veröffentlicht: nach einem heute stattgefundenen “Bildungs-Gipfel”, an dem 600 Experten von Schulaufsicht und Schulpartnern bis zu Polizei, Schulpsychologen und NGO’s teilnahmen, soll ein Fünf-Punkte-Programm für das Thema Gewalt an Schulen sensibilisieren und diese zu verhindern helfen. “Die Lehrer können soziale Probleme nicht alleine lösen”, so die Bildungsministerin.
Wichtigstes Ergebnis des Gipfels: im kommenden Jahr soll es um 20 Prozent mehr Schulpsychologen an Österreichs Schulen geben (derzeit kommen z.T. auf 5-10 Schulen 1 SchulpsychologIn, und das Engagement externer BeraterInnen wie im Projekt “SchulePlus” des Wiener GRG3 oder von “Schule mit Biss” bleibt fast ausschließlich Elternvereinen und engagierten Direktionen vorbehalten), und es wird einschlägige Schwerpunkte in der LehrerInnenausbildung geben. Gewalttätige Schüler, sogenannte ‘Bullies’ verursachen langfristig hohe Kosten für den Staat: addiert man Maßnahmen wie Pflege, Heimbetreuung, Gerichtsverfahren und Strafvollzug, kostet ein Bully den Staat über eine Million Euro. Die Lösung laut dem Psychologen Friedrich Lösel: “Kinder aus Risikofamilien sollten von der Geburt an betreut werden.”
Scheint, als wäre Österreich doch “anders” und als gäbe es begründete Hoffnung, dass das Steuer gerade noch herumgerissen werden kann. Sofern die Maßnahmen tatsächlich im Parlament bewilligt und dann auch konsequent umgesetzt werden jedenfalls.
Selbst seine größten Kritiker müssen einräumen, dass sein Wahlkampf seinesgleichen in der Geschichte der USA, ja der Welt sucht, und vermutlich auch in Zukunft Maßstäbe setzen wird. Barack Obama verstand es wie kein anderer westlicher Politiker der jüngeren Geschichte, die Menschen zu mobilisieren. Viel wurde bereits über seine Ausnahmeerscheinung diskutiert und geschrieben, und noch weitaus mehr wird wohl in Zukunft über ihn diskutiert und geschrieben werden. Über die politischen Implikationen seiner Wahl zu schreiben, dazu gibt es Berufenere als mich. Besonders spannend finde ich persönlich aber gerade das, was er in Menschen auslöst, wie und warum das geschieht.
Schon seine Physiognomie ist charismatisch – gertenschlank und mit drahtigem Schritt trat er stets an die Rednerpulte, er wirkt stets sachlich, kontrolliert, in seinen Anliegen bestimmt und klar, mit sparsam eingesetzter Gestik .. der Fokus lag stets auf dem gesprochenen Wort, nicht der körperlich ausgedrückten Emotion, was die Bedeutung seiner Worte noch zusätzlich zu unterstreichen schien. Insgesamt vermittelte sich dabei häufig ein geradezu antipodischer Eindruck zu seinem oft regelrecht unbeholfen und linkisch wirkenden, um die richtigen Worte ringenden Vorgänger. Sein im Laufe der Wahlkampfmonate zu einem regelrechten Freiwilligenheer angewachsener Pulk an WahlhelferInnen lief sich z.T. die Füsse wund, um seine Botschaft unter das traditionell wahlfaule Volk zu bringen, und der Erfolg gab ihnen recht: die Wahlbeteiligung in den USA erreichte eine Rekordquote, die international ihresgleichen sucht, im Internet fanden sich berührende Videos selbst von amerikanischen Urgroßmüttern, welche zur Wahl Obamas aufriefen.
Obama’s brillante, visionäre und berührende Reden (hier seine Siegerrede der letzten Nacht incl. Transkript – auffällig sind u.a. auch seine Kontrolliertheit und Gelassenheit selbst in diesen Minuten, welche doch sicherlich einen Höhepunkt in seinem Leben darstellen müssen) berührten die Menschen, ließen sie lachen und weinen, und sich diesem Mann “da oben” so nahe fühlen, als würden sie ihn schon lange kennen, so, als wäre er ihr Freund. Dieser Eindruck wurde auch im Wahlkampf vermittelt, als auf seiner Website registrierte AmerikanerInnen regelmäßig persönlich adressierte Info-Mails erhielten, oder auf ihre Anfragen mit “Barack” unterschriebene Antwortmails eingingen. Man war und fühlte sich “per Du” mit diesem Präsidentschaftskandidaten, und wer würde schon nicht einem seiner besten Freunde seine Stimme geben? In der Politik, die er versprach – und auf die es während des Wahlkampfes de facto bereits einen Vorgeschmack gab – verzichtete er auf persönliche Untergriffe, auf Manipulation durch Angstvorstellungen oder das Gegeneinander-Ausspielen von Bevölkerungsgruppen, was wie ein Balsam auf den Wunden jener Amerikaner wirken mußte, die bei Bush’s Politik “übrig blieben”: es gibt also doch noch Hoffnung! Die Worte “You” und “We” stellten Konstanten in jeder seiner Reden und Interviews dar – “Together, we can do it!“, oder das bereits zu seinem Markenzeichen gewordene “Yes, we can!“, das ihm dann auch bei der oben verlinkten Wahlnachtsrede von zigtausenden seiner Wähler zugerufen wurde.
Ein ganz klein wenig muß einem der zukünftige Präsident Obama ja schon jetzt leid tun 😉 – er wird viel zu tun haben, wenn er auch nur einem Bruchteil der Hoffnungen, welche er in den Menschen nicht nur der USA, sondern auch den meisten anderen Ländern dieser Welt ausgelöst hat, gerecht werden will. Man wird ihn letztlich an seinen Taten messen. Schon jetzt aber kann man sagen: er hat den Nerv unserer Zeit getroffen – einer Zeit, in der Menschen einander entfremdet und gegeneinander ausgespielt werden, und in der zutiefst humanitäre Werte wie Solidarität, Authentizität oder echte Kooperation immer öfter einer egoistischen und nur an kurzfristigem Vorteil orientierten Grundhaltung Platz machen müssen. Für uns in Europa bleibt zu hoffen, dass die Parteistrategen unserer Länder auch diesen Aspekt des Wahlerfolges Barack Obamas verstanden haben.
Nun sind sie also wieder wohlbehalten zurückgekehrt, die österreichischen Geiseln.
Vor 8 Monaten im Grenzgebiet zwischen Tunesien und Algerien von der terroristischen Nachfolgeorganisation der sog. “Algerischen Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf” (GSPC) nach Mali verschleppt, hat der Alptraum für das Paar zuletzt ein glückliches Ende gefunden.
Nun beginnt für sie -wie für viele Entführungsopfer- der zweite Teil der Traumatisierung: ihre mediale, öffentliche, und politische “Abwicklung” durch Boulevardpresse, das öffentliche Publikum und Proponenten der politischen Kaste. Die öffentliche Emotion wird ja bereits wochenlang von einem Höhepunkt zum nächsten gepeitscht: die Amstettner Kellerfamilie, der Tod Jörg Haiders und kurz danach Helmut Zilks, und nicht zuletzt auch die internationale Finanzkrise, die uns mit einer düsteren Krisenmeldung nach der anderen konfrontiert. Und nun auch noch das letztlich überraschend kommende Ende der Geiselnahme. Noch am Abend ihrer Ankunft mit dem eilends vom Außenministerium gecharterten Flieger finden die Konsumenten des Landes die ersten Zeitungscover mit den gegerbten Gesichtern des noch deutlich gezeichneten Paares in den Zeitungsständern, eine sichtlich stolze Ministerin verkündet, “sie sind wohlbehalten zurück in der Heimat”. Die österreichische Seele ist jedoch eine, die im Verborgenen kaum an sich halten kann, wenn es darum geht, die “Reichen und Mächtigen” zu kritisieren (ganz im Gegensatz zum direkten Kontakt übrigens, in dem Schüchternheit, unsichere Distanziertheit oder herzliche Freundlichkeit dominiert) – und diesen Krisengewinnlern werden hurtig auch die Geiseln selbst von vielen zugeordnet: man hätte sie ihrem Schicksal überlassen sollen, wenn sie schon unbedingt auf Abenteuerurlaub in die weit entfernte Wüste wollten, schrieben viele anonym und sichtlich echauffiert in die Foren der Online-Versionen österreichischer Zeitungen im Gefühl, zu den gar nicht faßbaren Zahlen von mehreren hundert Milliarden Euro für die Banken (wieviel wären das in Schilling?) kämen nun auch noch 5 Millionen für die Geiseln dazu, für die jeder einzelne Steuerzahler seinen Anteil von etwa einem Euro zu zahlen hätte, und was ist mit den anderen, den Bankdirektoren – ist denn endlich sichergestellt, dass die “vom Staat” an die kurze Leine gelegt werden und nur mehr ein möglichst geringes Gehalt bekommen?
In wenigen Tagen wird es das erste Interview geben (für die Geiseln wird es vor allem eine Art “Erklärung” sein, und sie werden sich dabei auf den Rat ihrer BetreuerInnen wohl an ein Manuskript halten, aus Sorge, durch spontane Satzwendungen nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten. Sie werden sich beim Strahl der Scheinwerfer in ihr Gesicht unweigerlich an die Wüstensonne der Sahara erinnern, und unter dem Druck der sogenannten “öffentlichen Meinung” sowie diverser Interview-Kommentare populistischer PolitikerInnen ein ähnliches Gefühl verspüren, wie sie es wohl während ihrer Gefangenschaft hatten: eines omnipräsenter Beobachtung, eingeschränkten Bewegungsspielraumes, Ohnmacht der Maschinerie gegenüber, durch die sie geschleust werden – bis schließlich der nächste öffentliche “Skandal” das Licht der Scheinwerfer von ihnen wieder abzieht und sich auf das nächste Ziel richtet: erst dann wird ihre Freiheit wirklich beginnen.
Kommentare