‘Baby Blues’ – oder bipolare Störung?

Frauen, die kurz nach der Geburt wegen schwerer psychiatrischer Erkrankungen (einschließlich Depressionen) behandelt werden mussten, werden im späteren Leben häufiger als bipolar diagnostiziert verglichen mit Frauen, deren erste psychiatrische Episode während eines anderen Lebensabschnitts auftritt, wie eine neue Studie aus Dänemark zeigt.

Es besteht jedoch noch Unklarheit darüber, ob es sich bei postpartalen Depressionen oder Schizophrenie-ähnlichen Episoden nicht gelegentlich tatsächlich um falsch diagnostizierte bipolare Störungen handelt – oder, ob mehr Frauen mit diesen Erstdiagnosen im Laufe der Zeit womöglich vermehrt bipolare Störungen entwickeln. Doch während postpartale Depressionen relativ häufig sind, treten schwere Depressionen und andere psychiatrische Episoden, welche stationäre oder ambulante Klinikaufenthalte erfordern, nur bei ca. 1 von 1.000 neuen Müttern auf.

Bipolare Störungen sind durch Wechsel zwischen schweren Depressionen und “Manien” (während denen eine Person übermäßig aufgeregt, glücklich und voller Energie ist) gekennzeichnet. Sie werden heute i.d.R. mit Kombinationstherapien aus Medikamenten und Psychotherapie behandelt. Am häufigsten manifestieren sie sich im frühen Erwachsenenalter – und das National Institute of Mental Health (USA) schätzt, dass immerhin 6% der US-Bevölkerung an einem gewissen Punkt im Leben an dieser Störung erkranken.

Frühere Studien suggerierten, dass der Geburtsvorgang als Auslöser für eine erste bipolare Episode fungieren könnte. Doch nur wenige Frauen wurden während der ersten Wochen nach der Geburt eines Kindes entsprechend diagnostiziert. Nach der vorliegenden Arbeit wird nun vermutet, dass eine schwere psychische Krise kurz nach der Geburt auf eine zugrunde liegende bipolare Störung hindeuten könnte.

In der Studie wurde der Status von dänischen Frauen nach einer ersten psychiatrischen Episode über 15 Jahre hindurch beobachtet, um zu sehen, ob der Zeitpunkt der Episode – kurz nach der Geburt oder nicht – eine Schlußfolgerung darüber erlauben würde, ob sich später eine bipolare Störung zeigen würde. Zu diesem Zweck wurden die Krankheitsgeschichten von 120.000 Frauen, welche seit 1970 aufgrund schwerer Depressionen oder einer anderen psychiatrischen Erkrankung stationär behandelt wurden, analysiert. Von diesen hatten 2.900 die Episoden innerhalb eines Jahres nach der Geburt ihres ersten Kindes.

Die Ergebnisse zeigten, dass eine schwere psychiatrische Episode in dem Monat nach der Geburt (im Vergleich zu einer Episode zu einem anderen Zeitpunkt) mit einer vierfachen Wahrscheinlichkeit letztlich zu einer bipolaren Diagnose führt. Von Frauen, die ihre erste psychiatrische Folge im ersten Monat nach der Geburt hatten, wurden 14 Prozent schließlich als bipolar diagnostiziert im Vergleich zu 4-5% der Frauen mit psychiatrischen Episoden zu einem anderen Zeitpunkt. Die früheren Studienergebnisse wurden also bestätigt, jedoch auch ein Zusammenhang mit anderen psychiatrischen Diagnosen aufgezeigt. Die Geburt eines Kindes ist somit ein potenter und spezifischer möglicher Auslöser für bipolare Störungen.

Daran beteiligt sein könnten hormonelle Veränderungen, die während der letzten Schwangerschaftswochen und beim Geburtsvorgang selbst auftreten, ebenso wie Schlafmangel und verschiedene Stressfaktoren. Häufig werden in diesen Folgen jedoch fälschlicherweise Depression oder Angststörungen diagnostiziert.

Keineswegs sicher ist jedoch, ob die betreffenden Frauen nicht auch ohne die Geburt eines Kindes eine bipolare Störung entwickelt hätten. Ebenso ist mit der Studie kein Beweis eines Zusammenhangs zwischen Geburt bzw. ‘postpartaler Depression’ und bipolaren Störungen gefunden, und ob es sich etwa auch bei leichteren Depressionen um bipolare Symptome handeln könnte.

Sehr wohl aber vertreten die Studienautoren die Ansicht, dass behandelnde Ärzte bei auftretenden psychiatrischen Symptomen nach der Geburt verstärkt die Möglichkeit bipolarer Störungen in ihre Überlegungen einbeziehen sollten. Auch sollte Schwangerschaft in die Liste potenzieller Risiken für die Auslösung dieser Störung aufgenommen werden. Mit diesen Maßnahmen könnte die Früherkennung deutlich verbessert werden und damit auch eine frühestmögliche, effiziente Behandlung oder zumindest Stützung der Frauen erreicht werden, statt mit einer vorschnellen Behandlung ausschließlich mittels Antidepressiva womöglich bestimmte bipolare Symptome noch zu verschlimmern.

(Quellen: Reuters; Psychiatric Disorders With Postpartum Onset: Possible Early Manifestations of Bipolar Affective Disorders in: Arch Gen Psychiatry. Published online December 5, 2011. doi:10.1001/archgenpsychiatry.2011.157. Image credit: drop.ndtv.com)

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



2 Antworten

Peter Reply

Toller Blog, weter so.

Familie Reply

Ein sehr interessanter Blog.

Gerade für Paare die gerade in der Planung sind eine Familie zu gründen ist das ein heikles Thema. Ich war sehr besorgt als ich diesen Artikel gelesen habe aber auch sehr froh darüber das dieses Thema behandelt wird.

Gerade dieses Thema sollte meiner Meinung nach noch weiter behandelt werden, nicht nur hier sondern auch allgemein in der Medizin.

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11.11.22