Kann sexueller Missbrauch gesetzlich verhindert werden?

Foto: Time

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Aufmerksame VerfolgerInnen der Tagesnachrichten werden dieser Tage vielleicht erstaunt die Neuigkeit aus Kalifornien vernommen haben, dass sexuelle Akte von StudentInnen der dortigen Universitäten zukünftig “bewilligungspflichtig” sein werden. Das dieser Tage vom kalifornischen Senat bewilligte Gesetz “Bill 967” wird Universitäten verpflichten, entsprechende Standards (wie auch Beratung und andere prophylaktische Maßnahmen) zur Verhinderung sexuellen Missbrauches zu implementieren, wenn sie zukünftig noch staatliche Förderung erhalten wollen. Lebt es sich denn in kalifornischen Universitäten so gefährlich? Offenbar ja: beinahe jede 5. Studentin wurde dort angeblich bereits einmal Opfer “sexuellen Missbrauches”. Die Apostrophierung ist bewußt gewählt, denn in einem Staat, der beabsichtigt, sexuelle Handlungen als strafbar zu definieren, sofern sie nicht davor und während dessen mehrmals explizit – verbal oder schriftlich – als erwünscht bezeichnet werden, scheint die Grenze des Erlaubten sehr eng gesteckt.

“Passive” Zustimmung wird also zukünftig nicht ausreichen, damit sich StudentInnen auf legale Weise sinnlichen Freuden hingeben können, diese allein wäre zukünftig als Missbrauch wertbar. Vielmehr wird während erotischer oder sexueller Aktivitäten, damit verbundener Positionsänderungen, “Steigerungsstufen” und dergleichen die Zustimmung mehrmals “enthusiastisch” (Nova Scotia Student Group) wiederholt werden müssen (“(only) yes means yes!”), da anfängliches Einverständnis zu einem späteren Zeitpunkt ja auch Ablehnung weichen kann. Dies ist natürlich völlig richtig – aber würde jemand, der – etwa, weil er Gewalttäter oder stark betrunken ist – diese Regelungen denn auch befolgen? Würde die Anzahl seiner Taten abnehmen? Sehr wahrscheinlich nicht. An amerikanischen Universitäten existieren auch Regelungen, denen zufolge Alkoholkonsum erst ab dem 21. Lebensjahr erlaubt ist, dennoch sind gerade die US-Campuses für den dort herrschenden, z.T. massiven Alkoholmissbrauch bekannt. Tatsächlich zeigen zahlreiche Studien, dass Missbrauch in aller Regel keineswegs eine Folge “mißverständlicher Signale” während zwischenmenschlichen Kontakten ist, sondern TäterInnen vielmehr ganz bewusst die Grenzen ihrer Opfer ignorieren. Somit wird das Gesetz aber weder Missbrauchsopfern helfen noch die Missbrauchszahlen senken – entgegen dem etwas naiven Glauben, ein Gesetz würde alleine durch seine Existenz die Gesellschaft verändern, würden TäterInnen im Fall des Falles vermutlich einfach auch bezüglich der expliziten Zustimmung lügen und behaupten, das Opfer hätte “eindeutig” dem Akt zugestimmt…

Aus gendersensibler Perspektive wird dem weiblichen Geschlecht und dem Ziel einer Nivellierung der geschlechtsspezifischen Machtgefälle zudem höchst wahrscheinlich wieder einmal ein Bärendienst erwiesen: die Annahme etwa, dass unter Einfluss von Alkohol keine legitime Zustimmung zu sexuellen Handlungen möglich ist, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Doppelmoral. Männer werden als potenzielle Vergewaltiger betrachtet, und Frauen als ihre hilflosen Opfer (oder, um aktuellere Termini zu verwenden, “Überlebende”). Wenn sich zwei junge Menschen betrinken und dann Sex haben, ist der Mann für sein Verhalten verantwortlich, sie aber nicht für ihres. Sogar wenn sie “ja” sagt, muss er ihr im Interesse seiner eigenen Sicherheit im Zweifel unterstellen, dies nicht autonom entscheiden zu können. Wie weitgehend bekannt sein dürfte, ist “betrunkener Sex” natürlich so gut wie immer mit Handlungen verbunden, die man “in nüchternem Zustand so sicher nicht getan hätte”. Doch während früher eine junge Frau eine solche Nacht als Lernerfahrung verbucht und dann wieder den Blick nach vorne gerichtet hätte, vermittelt man ihr heute, dass es sich dabei um ein zerstörerisches Trauma handelt, für das sie keine Verantwortung trägt.

Ist ein derartiges Gesetz – unabhängig von den dahinterstehenden positiven Intentionen! – überhaupt sinnvoll und ausreichend lebensnah? Es definiert Sex in den meisten “erwachsenen” Paarbeziehungen nämlich ab sofort als Vergewaltigung, weil selten mehr als nur nonverbale Signale (wenn überhaupt) abgegeben werden dürften, wenn mit sexuellen Handlungen begonnen wird. Ideologische Überlegungen und surreale Ängste scheinen Vorrang vor realen Fakten zu haben, wenn reale aber doch seltene Gefahren als “Welle der Gewalt” oder die Gesellschaft gar als “rape society”1 verzerrt dargestellt und dann auf dieser Grundlage drastische Gesetze beschlossen werden, welche massiv in die sozialen Beziehungen eingreifen. Frauen werden hierbei infantilisiert und hilflos dargestellt, ja ihnen unter bestimmten Umständen sogar die Fähigkeit zu bewussten Handlungen abgesprochen, während Männer das “gefährliche” Geschlecht und potenzielle Vergewaltiger seien, vor denen die jungen, per definitionem hilflosen Frauen geschützt werden müssen. Tatsächlich weisen US-Anwälte auf Konflikte zwischen dem neuen Gesetz und den Bürgerrechten hin, welche Partnerschaft als schützenswerten Bereich definieren, in den sich der Gesetzgeber nicht einzumischen hat2.

Interessanterweise existieren ähnliche Regelungen auf freiwilliger Basis bereits seit etwa 1 Jahr an den Universitäten von Texas, Yale und einigen Campuses der State University of New York. Dort wird von einer höheren “Bewußtheit” hinsichtlich des Themas sexuellen Mißbrauches berichtet (was auch immer das konkret bedeuten mag), die Zahlen gemeldeter Übergriffe selbst seien aber unverändert, “mehr Forschung” sei nötig. Sollte diese aber nicht vor der Einrichtung von Gesetzen stehen, die massiv in das Privatleben von BürgerInnen eingreifen?

Zum Weiterlesen:
“No Means No” Isn’t Enough. We Need Affirmative Consent Laws to Curb Sexual Assault. (1)
California activists seek to redefine quiet, consensual sex as rape through Senate Bill 967 (2)
California Lawmakers Pass ‘Affirmative Consent’ Sexual Assault Bill
‘Affirmative Consent’ Is Bad for Women
New California Law Could Require Students To Sign A Form For Consensual Sex
The Legal Definition of Consensual Sex is Likely to Change in California: What It Means

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



1 Antwort

FV_HK Reply

Ich denke es geht eher darum, dass vor Gericht dass (mutmaßliche) Opfer nicht mehr beweisen muss, dass es sich “richtig gewehrt” hat (Nur Nein sagen und sich wegdrehen etc. reicht ja gerade nicht aus aus gesetzlicher Sicht, um sich richtig zu wehren), sondern es darum geht, ob das mutmaßliche Opfer Sex wollte bzw. inwiefern der mutmaßliche Täter davon ausgehen durfte, dass die andere Person auch Sex wollte.

Eine Frage der Einvernehmlichkeit und dessen Anschein dann und nciht mehr eine Frage, ob man sich auch richtig gegen das Sex-Ansinnen des anderen gewehrt hat.

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11.11.22