Pelvipathie – die ‘indirekte’ Sexualstörung

Der Begriff Pelvipathie (Pelvipathia) steht für chronische (= länger als sechs Monate anhaltende) Unterbauchschmerzen (Schmerzen im unteren Bauchabschnitt bzw. kleinen Becken, meist in Form von Krampfzuständen) bei Frauen. Die Schmerzen treten unabhängig von Geschlechtsverkehr und Zyklus auf.

Weitere gebräuchliche Bezeichnungen sind Pelvipathia, chronic pelvic pain (CPP) und Hysteralgie.

In den USA leiden ca. 15% oder ca. 9,2 Mio. Frauen zwischen 18 und 55 Jahren an chronischen Unterbauchschmerzen. Etwa 10% aller ambulanten Patientinnen, 30–40% aller Laparoskopien und ca. 10–20% der Hysterektomien werden jährlich wegen Pelvipathie in den USA durchgeführt.

Doch eine Frau, die ständig Unterleibsschmerzen hat, streicht das Thema Sexualkontakt selbstverständlich. Dies und die Häufigkeit des Störungsbildes dürften ein Grund dafür sein, dass von dieser versteckten Sexualstörung – im Vordergrund stehen ja die Schmerzen, die den Gedanken an Geschlechtsverkehr erst gar nicht aufkommen lassen – den USA etwa 15 Prozent der Frauen betroffen sind. Die bei den Betroffenen häufige depressive Symptomatik wiederum kann den Teufelskreis von Schmerzen und Beeinträchtigung der Lebensqualität noch weiter anheizen.

Beim Gynäkologen werden die Patientinnen meist mit einer invasiven Diagnostik und Therapie versorgt – die einseitig organbezogenen Eingriffe wie Adhäsiolysen und Hysterektomien verstärken die Symptomatik aber häufig sogar noch. Denn ganz wesentlich dürften psychovegetative Zusammenhänge an der Entstehung von Pelvipathien zumindest mitbeteiligt sein. In den zahlreichen Fällen (etwa 40%) ohne ausreichenden Organbefund handelt es sich meist um stressbedingte Erkrankungen. Die Schmerzen können ferner auch ein Ausdruck unbewältigter Konflikte sein, etwa in der Partnerschaft, aber auch nach Missbrauch oder anderen traumatischen Erlebnissen. Der psychische Druck äußert sich dann in einer Anspannung des Unterleibs, was auf Dauer Schmerzen verursacht. Oft rühren die ständigen Beschwerden auch von Myomen, Bindegewebsverwachsungen oder einer Endometriose. Für 60 Prozent der Pelvipathiefälle könnten sogar Erkrankungen verantwortlich sein, die nicht im gynäkologischen Bereich liegen, etwa Darm-, Nieren- oder Rückenleiden, wie eine amerikanische Studie im Jahre 2006 (s.u.) aufzeigte. Ein “blinder Fleck” scheint in der Studie allerdings bestanden zu haben, dass ja auch psychische Ursachen dazu führen können, dass keine Befunde in den Fortpflanzungsorganen zutage gefördert werden können.
So haben Frauen mit chronischen Unterbauchbeschwerden häufig auch andere (etwa somatoforme) Störungen oder Depressionen (60%). Von den Betroffenen beklagen 65–79 % ein Reizdarmsyndrom, 30–70 % “abdominale myofasziale Schmerzen” (häufig in der Nähe von Operationsnarben) und 5–10 % urologische Symptome (Reizblase, Schmerzen beim oder nach dem Harnlassen, Pollakisurie,..). Daneben besteht mitunter auch ein nichtorganischer Fluor vaginalis als Ausdruck der vegetativen Erregung, ein genitaler Juckreiz (meist im Vulva-Bereich, aber auch in der Scheide), ein analer Juckreiz, eine Dysmenorrhö, prämenstruelle Beschwerden und funktionelle Sexualstörungen. Bei manchen Patientinnen besteht auch eine nichtorganische Vulvodynie.

Aus den angeführten Gründen sollten sorgfältige körperliche Untersuchungen, die nicht nur die Genitalorgane einschließen, am Beginn der Behandlung stehen und deren weiteren Verlauf bestimmen. Je nach Befund können dann etwa Medikamente, eine Operation oder physikalische Maßnahmen erfolgen. Wurden keine körperlichen Ursachen gefunden, sollte Psychotherapie oder Sexualtherapie in Anspruch genommen werden – nicht nur, um herauszufinden, welche psychischen Ursachen zu den körperlichen Schmerzen führen, sondern auch im Laufe der Behandlung wieder zu einer entspannten und erfüllten Sexualität zurückfinden zu können. Hypnotherapie kann sich speziell für die Schmerztherapie sowie als Entspannungsverfahren als nützlich erweisen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Arzt und Therapeut ist bei Pelvipathie eine Vorgangsweise, die sich für die effiziente Behandlung gut bewährt hat.

(Quellen: Leserman J, Zolnoun D, Meltzer-Brody S, Lamvu G, Steege JF. Identification of diagnostic subtypes of chronic pelvic pain and how subtypes differ in health status and trauma history. American Journal of Obstetrics and Gynecology, 2006;195(2):554-560; Wikipedia, Pelvipathie.de; Image src:medfuehrer.de)

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



3 Antworten

nina Reply

hallo,
ich habe den artikel gelesen, ich bin selber seit über 4 jahren davon betroffen, was ich vermisse in ihrem artikel ist, das es bei frauen auch mit einer starken endometriose zusammenhängen kann, tief infiltrierter endometriose, beckennervenproblemen…
da kann leider keine psychotherapie helfen, den erst muss bei der frau durch eine gute laproskopie bei einem spezialisten die ursache abgeklärt werden. anschliessend, um mit dem ganzen umgehen zu lernen, ja, da kann eine psychotherapie sehr gut sein
mit liebem gruss nina

r.l.fellner Reply

@Nina: danke für diese interessante & wichtige Rückmeldung!

nina Reply

bitte gerngeschehen

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11.11.22