Funktionelle gastrointestinale Störungen (FGIS)

Gastbeitrag von Mag. Karin Steiner

z.B. Reizdarm, Reizmagen

Magen- und Darmbeschwerden stellen häufige körperliche Symptome dar, die oft mit einem erheblichen Leidensdruck einhergehen.
15-30% der Bevölkerung sind davon betroffen. Frauen doppelt so häufig als Männer.
Eine Reizdarmsymptomatik führt oft zu schweren Beeinträchtigungen der sozialen und beruflichen Funktionsfähigkeit, da die Angst vor einer körperlichen „Unpässlichkeit“ (wie bspw. Durchfall) die gesamte innere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.

Was ist ein Reizdarm?

Ein Reizdarm macht sich bemerkbar mit wiederkehrenden Bauchschmerzen bzw. chronischem Unbehagen der Bauchregion über einen längeren Zeitraum hinweg (seit mindestens 6 Monaten). Zusätzlich können Blähungen, Schleimbeimengungen im Stuhl und auch das Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung auftreten.

Das Reizdarmsyndrom kann vorwiegend eher mit Verstopfung, oder eher mit Durchfall, bzw. mit beiden Beschwerden einhergehen.

Was ist ein Reizmagen?

Beim Reizmagen treten dauerhafte oder wiederkehrende Schmerzen/Brennen bzw. Beschwerden im Oberbauch auf. Begleitet können die Schmerzen durch ein Völlegefühl bzw. ein frühes Sättigungsgefühl nach der Mahlzeit werden. Manchmal kann es auch zu einem vermehrt auftretenden Übelkeitsgefühl und Erbrechen kommen.

Ursachen

Häufige Entzündungsbereiche (Bild: kompetenznetz-ced.de)

Das enterale Nervensystem ist ein komplexes Geflecht aus Nervenzellen, das nahezu den gesamten Verdauungstrakt durchzieht. Es spielt bei der Kontrolle der Verdauungsvorgänge eine wesentliche Rolle. Es funktioniert wie ein Gehirn im Darm und kommuniziert mit dem zentralen Nervensystem (Hirn-Darm-Achse). Diesbezügliche Erkenntnisse lassen vermuten, dass neben biologischen Prozessen auch die psychische Situation einen wesentlichen Einfluss auf Entstehung und Aufrechterhaltung der Magen-Darm-Beschwerden ausübt.
PatientInnen mit funktionellen gastrointestinalen Störungen spüren ihre normale Verdauung als Schmerz. Sie reagieren mit einem gesteigerten Schmerzempfinden auf die Dehnungsreize im Darm.
Diese Überempfindlichkeit kann durch verschiedene Faktoren verursacht werden. Neben Infektionen des Magen-Darm-Trakts, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, spielen auch psychische Ursachen eine Rolle. Stress und belastende Lebensereignisse haben einen direkten Einfluss auf das Verdauungssystem. Mittels funktionellem Magnetresonanz-Imaging (=bildgebendes Verfahren) von Hirnfunktionen konnten Nachweise für die enge Verbindung zwischen Gehirn und dem Verdauungstrakt unter Stress erbracht werden.
Auch eine familiäre Häufung der Beschwerden konnte nachgewiesen werden. Dies kann sowohl durch eine erbliche Vorbelastung erklärt werden, als auch als Verhalten (Kinder beobachten ihre Eltern, übernehmen deren Klagen und Beschwerden) kopiert werden.

Die Mehrzahl der Betroffenen leiden auch an psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, Angst- und somatoforme (= körperliche Symptome ohne ausreichende organische Ursachen) Störungen.

Wodurch können Symptome ausgelöst werden?

Nahrungsmittel sind häufig Auslöser von Symptomen. Die Mehrzahl der PatientInnen
(50-70%) leiden auch an Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Nahrungsmittelbestandteile, ob natürlich oder künstlich hergestellt, können bei vielen Menschen Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfälle auslösen.
Milch (-zucker), Kaffee (Coffein), fettreiche Nahrung, Alkohol, zuckerfreier Kaugummi (Sorbitol), gasproduzierende Mahlzeiten (Müsli, Hülsenfrüchte, Zwiebel, etc.), aber auch eine hastige Nahrungsaufnahme und Essen unter psychisch belastenden Umständen (Zeitdruck oder bei gleichzeitiger Problembesprechungen usw.) können Magen-Darmbeschwerden hervorrufen.

Behandlungsmöglichkeiten

Viele Betroffene haben bereits eine Odyssee an verschiedenen Behandlungen hinter sich, die häufig wenig Verbesserung der Symptomatik brachten. Dementsprechend können auch Folgesymptome wie bspw. depressive Verstimmungen oder Angstzustände (Angst vor einer Tumorerkrankung) auftreten.

Eine Krankheitsbehandlung, die all den Erkenntnissen über die Zusammenhänge gerecht werden will, muss dementsprechend weit gefasst sein. Das heißt, dass körperliche und psychosoziale Faktoren gleichermaßen in der Behandlung berücksichtigt werden.
Somit ist die Kombination von medikamentöser Behandlung der körperlichen Symptome einerseits, und Psychotherapie, um die psychosozialen Leiden der betroffenen Personen zu mildern, andererseits, die wirkungsvollste Methode.

Nach Univ. Prof. Dr. Gabriele Moser (AKH Wien) sollte die Therapie – abgestuft nach Schweregrad – folgendermaßen erfolgen:

  • Medizinische Abklärung (Anamnese) und Ausschluss anderer Erkrankungen
  • Aufklärung über Symptome und mögliche Ursachen sowie auslösende Wirkung verschiedener Faktoren (Nahrungsmittel, Hormonveränderung beim Menstruationszyklus, Stress etc.)
  • Führen eines Symptomtagebuchs über 4 Wochen: Herausfiltern von auslösenden oder verstärkenden Reizen, Aufzeichnung der Symptomstärke (mit Schweregraduierung von 1-10), hinzukommende Faktoren (Ernährung, körperliche Aktivität, belastende Situation, Stress, etc.), Emotionen (traurig, ängstlich, wütend,…) und Gedanken („bin zuversichtlich/hoffnungslos“, „halte das nicht mehr aus“ etc.)
    Dies ist zumeist der erste Schritt, Kontrolle über die körperlichen Beschwerden zu erlangen, da von den Betroffenen Zusammenhänge erkannt werden können.
  • Symptomorientierte Medikation durch die Gabe von Antidepressiva
    Gerade bei chronischen und kaum beeinflussbaren Schmerzen haben Antidepressiva gute Erfolge erzielt. Diese werden nicht primär wegen der antidepressiven Wirkung verabreicht, sondern um das Schmerzempfinden zu vermindern. Über Nebenwirkungen müssen die Patienten aufgeklärt werden, da die eigentliche Wirkung erst ab der 3. Behandlungswoche einsetzt.
  • Psychotherapie/Hypnose
    Psychotherapie zählt zu den wirkungsvollsten Behandlungsmethoden, vor allem bei jenen, denen bisher nicht anders geholfen werden konnte.
    Dies konnte auch wissenschaftlich nachgewiesen werden. In den meisten Studien wurde Psychotherapie mit „herkömmlichen“ Methoden (=medikamentöser Behandlung) verglichen und zeigte sich meist deutlich wirksamer.
    Vor allem die Hypnosetherapie zählt mittlerweile beim Reizdarmsyndrom zu den Standardtherapien.

Verdauungstrakt-gerichtete („gut-directed“) Hypnose

Der Einsatz einer spezifisch auf den Bauch gerichteten Hypnose zur Behandlung von Reizdarm- oder Reizmagenbeschwerden wurde erstmals von einer Arbeitsgruppe um Prof. Peter Whorwell in Manchester entwickelt. Mit dieser Methode wird den Patienten im Rahmen von 12 Hypnosesitzungen unter anderen suggeriert, dass ihr Magen-Darm-Trakt ruhig und rhythmisch funktioniert und die Betroffenen wieder die Kontrolle über diese Körperregion übernehmen. Dadurch werden nicht nur die Schmerzüberempfindlichkeit des Magen-Darm-Traktes, sondern auch die Darmbewegungen positiv beeinflusst und beruhigt.
Auch im AKH Wien wurde diese Methode erfolgreich als Gruppenhypnose (bis zu 8 Personen) eingesetzt.

Ablauf der Einzelhypnosen

12 Sitzungen zu je einer Stunde einmal wöchentlich, über einen Zeitraum von zirka 3 Monaten, gelten als erfolgreichste Dauer dieser Kurzzeittherapie, damit der gewünschte Langzeiterfolg erzielt werden kann.

In der ersten Stunde werden die individuelle Situation und die genauen Beschwerden erfragt, damit die Hypnose genau an die betroffene Person angepasst werden kann. Ab der zweiten Sitzung wird mit einem psychotherapeutischen Gespräch (zirka 20 Minuten) die aktuelle Situation erfasst und dann eine Hypnose durchgeführt.
Neben dem Effekt einer tiefen Entspannung, werden durch das Erzeugen von inneren Bildern ein Gefühl von Ich-Stärkung herbeigeführt, sowie die Vorstellung einer Normalisierung der Funktionen des Verdauungstraktes mit Verminderung der Schmerzen.

Ab der zweiten Sitzung sollen zu Hause Entspannungsübungen (zumindest 10-15 Minuten) durchgeführt werden, die durch eine von mir aufgenommenen CD unterstützt werden.
So wird den Betroffenen durch das Üben wieder mehr Selbstkontrolle über ihre körperlichen Empfindungen verliehen. Das Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber den Symptomen vermindert sich schrittweise.

Nach Bedarf können ein oder mehrere Sitzungen zum Auffrischen der eingeübten Entspannungstechniken ein halbes bis ein Jahr nach Beendigung der Hypnoseeinheiten durchgeführt werden, um einen noch besseren Langzeiterfolg zu gewährleisten.

Verfasserin des Textes:
Mag. Karin Steiner, Psychotherapeutin (www.reizdarm.cc)

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



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